Staatsschutzskandal an der Waterkant

■ Autonome im Plattenlegerprozeß freigesprochen/ Scharfe Gerichtsschelte am Verhalten der Staatsschützer im Zeugenstand

Itzehoe (taz) –Nach 59 Prozeßtagen ist gestern vor dem Itzehoer Landgericht der sogenannte Plattenlegerprozeß gegen die Hamburger Rote-Flora-Aktivisten Ralf Gauger und Knud Andresen mit einem Freispruch zu Ende gegangen. Den beiden Autonomen wurde von der Geheimpolizei vorgeworfen, wenige Tage nach der Flora-Park-Räumung am 29.Juli1991 in Pinneberg ein Bahnattentat verübt zu haben, indem sie Betonplatten auf die Gleise gelegt hätten. Die Anklage lautete auf Mordversuch. Beide befanden sich vor Verfahrensbeginn im Februar 1992 sechs Monate lang in Untersuchungshaft. Für das halbe Jahr Freiheitsentzug sollen beide entschädigt werden.

In seiner Urteilsbegründung äußerte der Vorsitzende Richter Manfred Selbmann „erhebliche Zweifel“ an der Version der Polit- Polizei. Zwar geht das Gericht davon aus, daß die Beamten „subjektiv der Auffassung“ seien, Gauger und Andresen, nachdem sie sie vorübergehend bei ihrer Observation aus den Augen verloren hatten, später tatsächlich in 400 Metern Entferung auf den Gleisen wiedergesehen zu haben. Doch „objektiv“ sei das Risiko einer Verwechslung zu groß.

Starke Kritik äußerte Selbmann an dem Verhalten der Staatsanwaltschaft, die unkritisch die Staatsschutzversion in ihre Anklage gegossen habe. Selbmann: „Ich kann doch nicht ohne weiteres jedem Mitbürger etwas unterstellen, nur weil Polizeibeamte es festgestellt haben wollen.“ Die Anklagebehörde habe es versäumt, nach Motiven zu forschen.

Das Gericht geht vielmehr davon aus, daß eine Verwechslung vorgelegen hat. So hatten die Beamten damals den Auftrag, den Aufenthaltsort einer Person, die dem RAF-Umfeld zugerechnet worden war, ausfindig zu machen. Die Staatschützer verwechselten allerdings ihre Zielperson mit Knud Adresen. Da sich nach Meinung Selbmanns in den Köpfen der Staatschützer das Feindbild festgesetzt haben könnte, es handele sich bei Gauger und Andresen um Mitglieder einer „Terrorgruppe“, hält er es für schlüssig, daß es damals auf den Gleisen zu einer „kurzschlußartigen Wiedererkennung“ gekommen ist.

Befremden löste beim Gericht auch das Verhalten der Staatsschützer im Zeugenstand aus, die ihre Aussagen „als Chorgesang“ vorgetragen hatten, ohne sich beispielsweise an Details der Kleidung der Angeklagten erinnern zu können. Vor jedem Prozeßtermin waren die Polizisten von einer Maskenbildnerin der Hamburger Staatsoper mit einer anderen Identität versehen worden. Die Staatsschutzführung hatte sie genauestens instruiert. In wichtigen Fragen verweigerten sie regelmäßig die Aussage. Selbmann dazu: „Das Verhalten der Beamten wurde von Hintermännern aus dem Landeskriminalamt gesteuert.“ Zudem seien Observationsakten vom LKA „manipuliert“ worden.

Für Hamburgs SPD-Innensenator Werner Hackmann kann die „Aktion Ofenschuß“, wie das Staatsschutzspektakel von den Angeklagten genannt wird, ein Nachspiel haben. Die Grünen kündigten unlängst in der Hamburger Bürgerschaft an, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß „PUA-Polizei“ zu beantragen, in dem der „Staatschutzskandal“ thematisiert werden soll. Kai von Appen