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■ Das PortraitShin Kanemaru

Tokio (taz) – Shin Kanemaru, bis zum Oktober vergangenen Jahres der mächtigste Mann Japans, sitzt in Untersuchungshaft. Mindestens zehn Tage soll der ehemalige Fraktionschef der seit 1955 regierenden Liberaldemokraten dort einsitzen. Zum ersten Mal ist Kanemaru damit in einer Rolle, die er immer zu vermeiden wußte. Er muß berichten, dem Untersuchungsrichter Auskunft geben. Schließlich war Japans einst gefürchteter Herrscher hinter den Kulissen gerade darauf nicht vorbereitet: Auskunft zu geben.

Kanemaru war stets ein schweigender Regent. Kein Mann für eine Rede im Parlament und schon gar nicht vor den Fernsehkameras. Er gehörte zu jener aussterbenden Spezies von Politikern, denen die Macht an sich genug ist. Doch jetzt stand sein Haus gleich eine ganze Nacht im Scheinwerferlicht, als die Beamten der Staatsanwaltschaft Berge von Akten abtransportierten – für einen Prozeß am Sankt-Nimmerleins-Tag.

Kanemaru wird alles sagen, wonach man ihn fragt. Gelogen hat der bisher so Schweigsame vermutlich nie. Das macht diese Verhaftung so spannend. Bleibt es bei der Anklage auf Steuerhinterziehung, die jetzt zur Festnahme führte, ließe sich die Angelegenheit als eine rein private Affäre abwickeln. Schließlich hatte Kanemaru im Oktober letzten Jahres bereits alle öffentlichen Ämter niedergelegt, nachdem er zuvor gestanden hatte, illegale politische Spenden über sechs Millionen Mark von einer Mafia- nahen Paketfirma angenommen zu haben. Damals war es Kanemaru gelungen, ohne Befragung der Staatsanwaltschaft eine Schulderklärung abzugeben und den Prozeß mit einer Strafzahlung von ganzen 2.500 Mark abzuschließen.

hier Foto Nr. 12

Foto: Reuter

Trotzdem steht mehr als nur die Altersruhe eines mafiosen Ex-Abgeordneten auf dem Spiel: Alle Welt weiß, daß Kanemaru die letzten drei japanischen Premierminister mit eigener Hand verlas, darunter auch den amtierenden Regierungschef Kiichi Miyazawa. Ein bißchen Abwechslung auf der Bambusmatte wird Shin Kanemaru nicht groß berühren. Als er im Dezember zum Verhör ins Parlament bestellt wurde, setzte sich der quicklebendige Kanemaru in den Rollstuhl, ließ sich die Augen operieren und erschien nie vor dem Untersuchungsausschuß. Was aber werden seine Regierungskollegen nun Angst schwitzen müssen! Georg Blume

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