Gruppenbild mit Bubis

■ Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden diskutierte mit SchülerInnen des Humboldt-Gymnasiums / Koalition mit Reps wäre für ihn Grund zum Kofferpacken

Tegel. Am Ende ein Gruppenbild mit Bubis: Nach gut einstündiger Diskussion im Tegeler Humboldt-Gymnasium setzt sich der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland noch einmal lachenden Gesichts in die SchülerInnenrunde. Der Geste für die Fotografen hätte es jedoch nicht bedurft, um zu beweisen, daß er ein Mann zum Anfassen ist. Angesichts der lockeren Atmosphäre haben sich die 25 Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 19 Jahren in mehreren Unterrichtsstunden fast schon zu gut vorbereitet, manch eine der in ein RIAS-Mikrophon gesprochenen Fragen klingt ein wenig zu brav und gestelzt.

Dabei mag der Mann aus Frankfurt am Main doch gerade das Rebellische an der Jugend. Für ihn sind die jungen Leute, unter denen er sich gerne und viel bewegt, die Hoffnungsträger, die „viel weniger zu Ausländerhaß und Antisemitismus neigen als die Älteren“. Er verteidigt sie, auch wenn er, wie im Golfkrieg, anderer Meinung ist: „Mir ist lieber, wenn sie auf die Straße gehen, weil sie gegen den Krieg sind, als wenn sie mitmarschieren würden.“ Und er erhebt im In- und Ausland Widerspruch dagegen, daß „6.000 bis 8.000 jugendliche Gewalttäter das Bild von Deutschland ausmachen. Bei den Lichterketten bestand die Mehrheit auch aus jungen Leuten.“ Differenzierung – das ist Bubis Stärke. „Wenn ich differenziere, kann ich in Deutschland leben“, sagt er einer mandeläugigen Schülerin auf die Frage, wie er Verantwortung für ein Land übernehmen könne, das die Juden vernichtet habe. Andere Schüler wollen wissen, was er von den Vergleichen mit Weimarer Verhältnissen halte: nichts. Erstens seien die ökonomischen Probleme früher ungleich größer gewesen: „Damals gab es sechs Millionen Arbeitslose, das wären heute – die früher nicht in die Statistik aufgenommenen Frauen und die größere Bevölkerungszahl miteingerechnet – zwölf Millionen.“ Und zweitens, singt der optimistische Hesse erneut ein Loblied auf die Jugend, wäre „die Anzahl der Mitläufer heute geringer als früher“. Wenn der Rechtsextremismus aber nun doch eskaliere, bohrt eine Schülerin nach: „Würden Sie dann nach Israel auswandern?“ Ob nach Israel, das wisse er nicht, aber eine Koalition einer Partei mit Rechtsradikalen sei für ihn tatsächlich „der Moment zum Kofferpacken“, gibt er zu.

Tatsächlich scheint Israel kein leichtes Pflaster für Ignatz Bubis zu sein. Wie er da vor kurzem aufgenommen worden sei, fragen die SchülerInnen neugierig. Es gebe dort gewisse Aversionen gegen die dort nicht wohnenden Juden, berichtet er: „Viele Überlebende verstehen nicht, wie man in Deutschland leben kann.“ Diese Tendenz sei durch einen von 80 Prozent aller israelischen Fernsehzuschauer verfolgten Fernsehfilm über deutsche Neonazis noch mal sehr verstärkt worden. Als er selbst dort im TV auftrat, habe man ihn als einen dargestellt, der keinerlei Probleme in Deutschland sieht. Ein marokkanischer Immigrant habe ihm sogar gesagt, für ihn sei er kein Jude. „Hier bin ich für viele kein Deutscher, dort kein Jude. Ich kann mit beidem leben“, faßt Bubis lapidar zusammen. Was den Vorsitzenden jedoch bei seiner Reise durch Israel nicht davon abhielt, das zu kritisieren, was er für falsch hält. Die Abschiebung der 415 palästinensischen Hamas-Aktivisten beispielsweise: „Israel hat sich damit sehr geschadet.“

Gleichzeitig aber wirbt er für Verständnis für die israelische Gesellschaft: „Die Syrer haben länger gebraucht, dagegen zu protestieren, als israelische Demonstranten.“ Und: Die Angst vor Gesichtsverlust spiele im Nahen Osten eine unwahrscheinlich große Rolle. Die zweifelnde Frage eines Schülers, ob denn auch das Aushungern zu den Mitteln des politischen Kampfes zählen dürfe, verneint er jedoch für sich: „Ich hätte Essen in das Lager gebracht, auch wenn ich mein Gesicht dabei verloren hätte.“ Bubis ist kein Mann der Prinzipien, sondern der Menschlichkeit – einer zum Anfassen eben. Ute Scheub

Der RIAS sendet das Gespräch am Sonntag, den 14.3., von 18.35 bis 19.30 Uhr. Und das ZDF wird am 2.4. um 21.15 Uhr berichten.