■ Das Portrait
: Ruth Dreifuss

hier Foto Nr. 11

Foto: taz-Archiv

Das 100. Regierungsmitglied seit Gründung des Bundesstaates Schweiz im Jahre 1848 ist weiblichen Geschlechts und schon allein deshalb eine mittlere Revolution. Vor Ruth Dreifuss durfte nur ein einziges Mal eine Frau in die Siebenergruppe an der Spitze des Landes. Das war Ende der 80er Jahre (dieses Jahrhunderts) Justizministerin Elisabeth Kopp – und die mußte bald wieder gehen, weil sie ihrem Mann Staatsgeheimnisse verraten hatte, die der für krumme Geschäfte nutzte. So etwas kann mit Dreifuss nicht passieren – die 53jährige ist überhaupt nicht verheiratet.

Sich selbst bezeichnet die neue Bundesrätin als „eher bieder“. Rein äußerlich mag das zutreffen. Dreifuss' Werdegang entbehrt jedoch jeder Biederkeit. Die Tochter einer deutschschweizerischen jüdischen Familie boxte sich immer wieder in Bereiche vor, die für Frauen tabu waren. Nach ersten Berufserfahrungen als Sekretärin und Sozialarbeiterin studierte sie auf dem zweiten Bildungsweg Wirtschaftswissenschaften, arbeitete neun Jahre lang in der Entwicklungshilfe und schaffte 1981 als erste Frau den Sprung in das Zentralsekretariat des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, wo sie seither das Ressort Sozialpolitik leitet. Der Sozialdemokratischen Partei trat sie mit 24 Jahren bei.

Dreifuss spricht fließend fünf Sprachen, wird für ihr Verhandlungsgeschick geschätzt und gilt als zähe Politikerin. An ihren Absichten im Bundesrat läßt sie keinen Zweifel. „Kompromißlos“ will sie die Belange der Frauen vertreten, sagte sie gestern. Daß sie das kann, hat sie unter anderem bewiesen, als sie den nationalen Frauenstreik im Juni 1991 mitorganisierte. Ihr Engagement gilt aber auch der Abschaffung der Armee.

Zu beneiden ist Dreyfuss um das vorhersehbar rauhe Klima an ihrer neuen Arbeitsstelle nicht. Als Bundesrätin – ihr Geschäftsbereich steht noch nicht fest – muß sie sechs Kollegen ertragen, die in jahrelanger Männerbündelei erprobt sind. Dreifuss nehmen die meisten von ihnen zähneknirschend als „kleineres Übel“ in Kauf, um ein Auseinanderknallen der Regierung zu vermeiden. Ein Mann wäre ihnen lieber gewesen. Innenminister Flavio Cotti erklärte bei passender Gelegenheit (wörtlich): „Die Frau soll, ihrer Berufung und ihren besonderen Fähigkeiten entsprechend, möglichst in der Familie und im Haus walten.“ Dorothea Hahn