Kaufen sich Angeklagte frei?

Im Holzschutzmittelprozeß werden die Angeklagten viel Geld zahlen, damit das Verfahren eingestellt wird/ Vorteile für Geschädigte  ■ Aus Frankfurt Michael Blum

Das bisher größte und bedeutendste Umweltstrafverfahren in der Bundesrepublik, der sogenannte Frankfurter Holzschutzmittelprozeß, steht möglicherweise vor einem überraschenden Ende: Schon in der kommenden Woche könnte das Verfahren gegen die Manager zweier Chemiefirmen eingestellt werden, die jahrelang hochgiftige Holzschutzmittel vertrieben hatten. Auf Anregung der 26. Strafkammer am Landgericht Frankfurt laufen nämlich außerhalb des Gerichtssaals Verhandlungen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens nach §153a der Strafprozeßordnung. Dieser Paragraph erlaubt die Einstellung eines Strafverfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße. Die Schätzungen über die Entschädigung fangen bei mindestens 100 Millionen Mark an.

Im Frankfurt müssen sich seit Juni vergangenen Jahres die Manager Kurt Steinberg und Fritz Hagedorn vom Marktführer Desowag Materialschutz (Düsseldorf) wegen Körperverletzung und Freisetzen von Giften verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden vor, PCP- und lindanhaltige hochgiftige Holzschutzmittel bis in die siebziger Jahre vertrieben zu haben, obwohl sie um deren Gefährlichkeit wußten. Nach Schätzung der Staatsanwaltschaft Frankfurt erkrankten mehrere hunderttausend Menschen nach der Anwendung der Gifte. Hinter der Desowag GmbH (vertriebene Mittel „Xylamon, Xyladecor“) stand bis 1987 außer der Firma Solvay auch der Chemiemulti Bayer Leverkusen mit 37 Prozent Beteiligung.

Die Staatsanwaltschaft hatte die Eröffnung des Verfahrens gegen die Strafkammer regelrecht erzwingen müssen. In dem Verfahren mit über 50 gehörten Zeugen und zwölf Gutachtern wurde die Anklage dann aber in allen entscheidenden Punkten untermauert. Die sachverständigen Wissenschaftler (klinische Toxikologen, Neurologen, Biochemiker etc.) haben die Erkrankungssymptome auf die Holzschutzmittel-Belastung zurückführen können, teilweise durch langjährige klinische Erfahrungen. Die Holzschutzmittel gasen demnach als schleichendes Gift noch Jahrzehnte nach der Anwendung aus dem Holz aus. Besonders gefährlich sind die Gifte, weil sie über die Lunge direkt auf das zentrale Nervensystem einwirken und das Immunsystem schädigen. Die von der Verteidigung geladenen zwei Gutachter hingegen, konnten nur wenig zur Aufklärung beitragen: Sie verneinten erwartungsgemäß einen Zusammenhang zwischen den Holzschutzmitteln und den Erkrankungen, allerdings stützten sie sich lediglich auf Tierversuche. Bei der Vernehmung von Vertretern des Bundesgesundheitsamtes und des damals zuständigen Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit sowie von Firmenvertretern zeigte sich, daß die Gefahren durch die Holzschutzmittel bekannt waren, und zwar schon vor der ersten größeren öffentlichen Diskussion über die Mittel Ende der siebziger Jahre.

Sollten die beiden Angeklagten in dem Pilotverfahren gegen den Marktführer verurteilt werden, stünden in Zivilprozessen Milliardenklagen auf Entschädigung und Schmerzensgeld an. Beträge, die zur Pleite bei den Chemiefirmen führen könnten. Kein Wunder also, daß die Gesprächsbereitschaft in den Führungsgremien der Unternehmen im Verlauf der Hauptverhandlung merklich gestiegen ist. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft dürfte der jetzt diskutierten Einstellung und dem damit verbundenen Verzicht auf eine Verurteilung aber nur dann zustimmen, wenn die wichtigsten Ergebnisse der Hauptverhandlung, nämlich daß die Holzschutzmittel ursächlich für eine Erkrankung sind und die Industrie ihre Sorgfaltspflicht wissentlich aus marktpolitischen Interessen verletzt hat, in dem Einstellungsbeschluß festgeschrieben werden. Das wäre die Voraussetzung für weitere erfolgreiche Zivilprozesse.

Für die Holzschutzmittelgeschädigten bringt eine Einstellung mehr Vor- als und Nachteile. Die Verbraucherinitiative hat ausgerechnet, daß der volkswirtschaftliche Schaden, der durch die Holzschutzmittel verursacht wurde, sich auf zwei bis drei Milliarden Mark beläuft. Eine Summe, die in Zivilprozessen nicht einklagbar sein wird. Hinzu kommt, daß viele der Geschädigten infolge der Erkrankungen weder nervlich noch finanziell in der Lage sein dürften, ein Zivilverfahren über drei Instanzen durchzustehen. Manche Fälle sind verjährt. Für die Staatsanwaltschaft bietet eine großzügige Entschädigung die greifbare Chance, auch Familien zu helfen, die Schäden in Millionenhöhe erlitten haben. Bei den im Raum stehenden Summen muß man sich auf seiten der Staatsanwaltschaft einer Verurteilung der Angeklagten schon sicher sein, um eine Einstellung abzulehnen und das Risiko einzugehen, daß die Geschädigten in Zivilverfahren leer ausgehen.