Schweizer Männer gestatten eine Ministerin

■ Ruth Dreifuss wurde an Stelle von Christiane Brunner zur Ministerin gewählt/ Die Vierparteien-Koalition ist gerettet

Berlin (taz) – Seit gestern darf eine Frau die Schweiz mitregieren: Zähneknirschend entsandte eine Mehrheit der Abgeordneten die Sozialdemokratin Ruth Dreifuss in den siebenköpfigen Bundesrat des Landes. Vor (und wegen) der Wahl der Ministerin war es beinahe zu einer Staatskrise und dem Auseinanderbrechen der seit 33 Jahren tätigen Vierparteien- Koalition gekommen. Erst Demonstrationen in allen größeren Städten, massive Parteiaustrittsdrohungen und die geballte Wut und Enttäuschung der Schweizerinnen machten es möglich, daß das Land zum zweiten Mal in seiner 702jährigen Geschichte ein weibliches Regierungsmitglied bekam.

Ruth Dreifuss, Gewerkschafterin aus dem linken Spektrum der Sozialdemokratischen Partei (SP) nahm die Wahl kämpferisch an. Sie werde sich „kompromißlos für die Belange der Frauen“ einsetzen kündigte die 53jährige an. Das „magische Dreieck zwischen ökonomischem Wachstum, sozialer Absicherung und gerechter Verteilung der Ressourcen müsse neu ausgewogen werden“, sagte Dreifuss. Die Frage, welches Ressort sie im Bundesrat bekommt, war gestern noch nicht entschieden. In der Berner Gerüchteküche wurde sie jedoch bereits als Innenministerin gehandelt.

Die 53jährige Dreifuss geht an Stelle des sozialdemokratischen Außenministers René Felber ins Kabinett. Felber hatte seinen Rücktritt „aus Gesundheitsgründen“ angekündigt, nachdem die SchweizerInnen sich im vergangenen Jahr in einer Volksabstimmung gegen den von ihm gewünschten Beitritt des Landes zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ausgesprochen hatten. Der EWR gilt als Vorzimmer der EG.

Mit der Wahl von Dreifuss findet ein Männer-Machtkampf, der die Schweiz seit Wochen in Atem hält, sein vorläufiges Ende. Ursprünglich hatte die SP, der nach den ungeschriebenen Koalitionsgesetzen zwei Sessel im Kabinett zustehen, eine andere Frau ins Rennen geschickt. Doch kaum war die Kandidatur der 45jährigen Christiane Brunner bekannt, begann auch schon eine sexistische Schlammschlacht gegen sie – Gerüchte über Männerbeziehungen und angebliche pornographische Fotos eingeschlossen. Bei der Wahl am Mittwoch vergangener Woche stimmte dann die Mehrheit der bürgerlichen Abgeordneten statt für Brunner für den überhaupt nicht aufgestellten (männlichen) Sozialdemokraten Francis Matthey.

Heftige Proteste im Parlament und auf der Straße waren die Folge der sexistischen Abstimmung. Von Frauen jeder politischen Couleur kam die Forderung, entweder auf Brunner als Ministerin zu bestehen oder ganz aus der Regierung auszuscheiden. Die SP-Fraktion war zwar bereit, den ungewollt gewählten Mann zurückzuziehen. Doch zu einem Aufrechterhalten der Alleinkandidatur von Brunner reichte der Mut nicht. Statt dessen schickte sie eine zweite Kandidatin ins Rennen.

Gestern standen deswegen die „politische Zwillingsschwestern“ Dreifuss und Brunner gegeneinander. Brunner zog ihre Kandidatur zurück, nachdem ihre Konkurrentin in zwei Wahlgängen stärker war. Beim dritten Wahlgang errang Dreifuss die ausreichende Stimmenmehrheit. dora

Siehe Seiten 10 und 11