: SPD-Parteireform im Wartestand
■ Die Sozialdemokraten sind mit sich selbst unzufrieden, doch vom morgigen Landesparteitag sind keine Neuerungen zu erwarten / Parteirechte als Modernisierer, Parteilinke als Strukturkonservative
Berlin. Staatssekretär Hans Kremendahl tat einen tiefen Griff in die Parteigeschichte, um der Paradoxie der aktuellen Auseinandersetzungen in der SPD den Anschein von Schlüssigkeit zu geben. „Eduard Bernstein, der Parteirechte, war schließlich derjenige, der die Modernisierung der Partei vorangetrieben habe, wohingegen der Linke Kautsky sich als Organisationskonservativer erwiesen hat.“ Auch der Parteirechte Kremendahl ist ein vehementer Befürworter einer Parteireform, die von den Parteilinken genauso vehement verworfen wird. Deshalb werden diese wiederum von den Ostgenossen in den eigenen Reihen des „Strukturkonservativismus“ gescholten.
Diese neue Unübersichtlichkeit bei der SPD macht es selbst alten Parteihasen wie der stellvertretenden Vorsitzenden Monika Buttgereit schwer, den Ablauf des morgigen Parteitages zu prognostizieren. Früher sei das anders gewesen, da hätte vorher die Parteitagslinie festgestanden, „und das war's dann“. Früher, das waren die seligen Zeiten, als noch über 30.000 Westberliner stolze Besitzer des roten Mitgliedsbüchleins waren, als sich die sozialdemokratische Halbstadtwelt noch klar in die Einflußsphären des rechten „Britzer“- und des linken „Donnerstagskreises“ aufteilen ließ. Mittlerweile ist das Einzugsgebiet um den Osten größer, die Zahl der Mitglieder hingegen beträchtlich kleiner geworden. Fünf Prozent von ihnen kehrten allein im letzten Jahr der SPD den Rücken, noch 24.000 halten ihr zur Zeit die Treue – Tendenz weiter fallend.
Diesem Trend entgegenzusteuern, ist Ditmar Staffelt im letzten Oktober als neuer Parteivorsitzender angetreten. Zur Reform der Partei will er eine Mitgliederbefragung einführen, die Direktwahl der Mandatsträger erwägt er ebenso wie eine überproportionale Vertretung der Ostberliner Bezirke in den Parteigremien. Der Parteilinken Buttgereit ist die Mitgliederbefragung ein viel zu schwerfälliges Instrumentarium, der verstärkten Ostpräsenz steht in ihren Augen das Prinzip der Mitgliederpartei entgegen. Sie fürchtet bereits, daß die SPD zu einer reinen Wahlpartei nach amerikanischem Muster verkommt.
Wegen dieser Haltung muß sie sich vom Ostlinken und Jugendsenator Thomas Krüger vorhalten lassen, „strukturkonservativ wie die Christdemokraten“ zu sein. Auch für Kremendahl ist die alte Mitgliedspartei eine falsche Illusion. Krüger will „mehr Gewicht“ für die Ost-SPD. Doch die Revolte, die er zu diesem Zwecke auf dem morgigen Landesparteitag anzetteln wollte, wurde bereits vom Landesausschuß am Mittwoch in die Statutenkommission kanalisiert.
Und so werden die Delegierten morgen in gewohnter Manier ein umfangreiches Paket von unterschiedlichen Sachanträgen abarbeiten. Konfliktträchtig ist allenfalls das Thema Tiergartentunnel, dessen Vorfinanzierung die Linke rückgängig machen will. Für Kremendahl ist das der falsche Versuch, die Partei an der Regierung vorbei zu profilieren. Er wie auch der „pragmatische Linke“ Staffelt setzen auf „Überzeugen durch Regierungstätigkeit“.
Perspektive heißt für Staffelt, „neue Identität für die Stadt“ zu schaffen. Wenn er präzisiert, Berlin müsse „Vorreiter des deutschen Einigungsprozesses sein“, spricht aus ihm allerdings eher der Regierende Bürgermeister in Wartestellung und weniger der Parteivorsitzende der SPD. In diese Rolle, bemängelt Buttgereit, muß er erst noch finden. Sie vermißt die Vorgaben für programatische Diskussionen, statt dessen verzettele sich die Partei in der Tagespolitik.
Zwischen diesen beiden Polen klafft zur Zeit bei der SPD ein tiefes Loch. Die Rechten, seit jeher pragmatisch orientiert, schmerzt es weniger als die Parteilinke. Diese sucht nach wie vor ihre Identität in den klassischen sozialdemokratischen Reformprojekten, sie hat sich bislang nicht getraut, zu den zentralen Vorhaben der auch von ihr getragenen Regierung konzeptionelle Vorgaben zu machen. Hauptstadtfunktion und Regierunsviertel, Olympia, Privatinvestitionen und Strukturpolitik sind Themen, die sie mit spitzen Fingern anpackt. Dieses Defizit der Partei füllt Staffelt mit seiner Persönlichkeit, er fungiert in seiner Doppelrolle – noch als Programmersatz. Dieter Rulff
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