Minister für Nichtwähler: Hurra Deutschland! Von Michaela Schießl

Es tut sich was: 30 Prozent der hessischen Wähler tun nichts mehr. Sie verweigern den orgiastischen Höhepunkt eines jeden demokratischen Bürgerlebens: den Urnengang. Doch nicht genug. Sie schalten feixend von „Tagesschau“ auf „Hurra Deutschland“. Fast ein Drittel der Hessen sind es, die offenbar abgeschlossen haben mit Parlamentarismus, Parteien und Palaver. Alarmstufe rot im Raumschiff Bonn! APO, raunt es durchs Wasserwerk, Revolution, eine gefährliche Schwächung der Demokratie ist im Anzug. Diäten, Prämien, Ruhm und Reisen, alles steht in Frage, wenn die Ausreißer nicht hurtigst wieder freiheitlich-demokratisch eingefangen werden können. Der gemeine Parlamentarier beginnt, intensiv nachzudenken. Die Stunden vergehen. Doch Teufel, inhaltlich will sich einfach keine Idee einstellen. Vielleicht strukturell? Endlich springt einer auf. Da ist sie, die Lösung! Wir ernennen die Abtrünnigen einfach zu einer eigenen Partei. Damit gehören sie praktisch zu uns, bleiben dem System verbunden, ja, stützen es geradezu! Allgemeiner Jubel, die Staatskrise ist abgewendet. Flugs werden die öffentlich- rechtlichen Anstalten kontaktiert, und kurz darauf berichten die Wahlanalytiker direkt nach der Auszählung von der neuen „Partei der Nichtwähler“.

Da wundert sich die Protest- Hessin zu Hause. Tagsüber gab sie wütend ihr Votum der Politik- Verweigerung ab, und abends ist sie Parteimitglied der zweitgrößten Partei Hessens. „Betrug“, brüllt sie, und „Vereinnahmung“, und „nicht mit mir“. Sie greift zum Telefonhörer. Wenig später rottet sich in einer Wohnung in Frankfurt der harte Nichtwählerkern zusammen. Dem hinterlistigen Affront der Parlamentarier muß begegnet werden. Aber wie? Eine weitere Verweigerung scheidet nach dem jüngsten Flop aus, ein echter Denkzettel muß her. Demonstrationen? Presserklärungen? Rathausstürmung? „Nein. Wir müssen sie mit den eigenen Waffen schlagen. Gegenminister aufstellen. Laßt uns einen Minister der Nichtwähler fordern.“ Jubel in der Frankfurter Wohnung. Zu dumm nur, daß keiner kandidieren will. Woher einen Profi-Minister nehmen? „Von der Plakatwand! Wir jagen ihnen die Philip-Morris-Minister auf den Hals.“ Das ist es. Dem leichtlebigen Hacienda-Streibl wird mit dem Light-American- Zukunftsminister Ossi Urs gedroht. Der nämlich nimmt sein Volk mit zum talk with tomorrow nach New York. Motto: „Nur was wir verstehen, können wir beeinflussen.“ Streibl! Entweder wir dürfen das nächste Mal mit auf die Hacienda, oder Dein „tomorrow“ steht in den Sternen!

Auf Björn Engholms Sozial- Geldbote Jansen wartet das Love-Modul der Liebesministerin. Er wird mit Reiner Pfeiffer ans Gerät geschnallt, um die gegenseitigen Vibrations zu testen. Harmonie total oder Chaos? Sozialtat oder Schweigegeld? Wirtschaftsminister Rexrodt muß per Cyberspace Fluchtwege in künstliche Steuerwelten erkunden, während der Music-Minister die Lautsprecheranlage im neuen Bundestagshaus hipphopp repariert und 'ne neue Platte auflegt im Parteienorchester. Na, Ihr hohen Herren in Bonn, wie schmeckt Euch das? Angst? Na also. Und nennt uns nie wieder eine Partei.