: Ausgeblutete Hauthüllen und Babykleider
■ Die Kunstausstellung Post Human in der großen Deichtorhalle zeigt Figuartives zur Zukunft des Menschen
in der großen Deichtorhalle zeigt Figuratives zur Zukunft des Menschen
Zwischen hochglanzpoliertem Lebenstraum und drängenden Körpersäften schwankend bietet sich in der großen Deichtorhalle ein deutlich ins Schwimmen geratenes Menschenbild. Unter dem Titel Post Human zeigen 35 internationale Künstlerinnen und Künstler ihre Sicht der menschlichen Zukunft, in der technologischer Fortschritt dazu zwingt, das Mensch-Sein neu zu definieren.
Pubertär verschaukelt wie im Schwanenschlitten der Karen Kilimnik oder vom übergroßen Mutterideal (Charles Ray) geleitet, endet das Leben in lustvollem militärischen Gemetzel (Jeff Wall) oder mechanisch die bemooste Muttererde bumsend. Instrumentalisierte Lustobjekte (Fotos von Cindy Sherman), Frauen als ausgeblutete Hauthüllen, weinende Büsten und scheißende Figuren (Kiki Smith) zeigen ein Menschenbild, gegen das nur noch Drogen aus der Apotheke des Damien Hirst helfen. Bis daß die Menschen sich endgültig fraktalisieren, wie die roten Bürger, deren Körper sich eilig im Raum verstreuen (George Lappas).
Zeitgleich wird versucht, den schönen Schein aufrecht zu halten: Clegg & Guttmans Fotos gruppieren Manager in der Tradition Rembrandts, und Jeff Koons inszeniert seine Selbstvergötzung im Foto und feinstem Marmor. Das alles findet statt in alltäglicher Umgebung, wie sie Fischli und Weiß in nur 16 x 26 cm großen Fotos der ach so schönen Schweiz zeigen.
Der Untergang ist die Zukunft der Menschheit, wie Yasumasa Morimura im Rückgriff auf das berühmte Bild des Blindensturzes von Breughel moralisiert. Da hilft kein betretenes In-die-Ecke-Stellen (Kippenberger), nicht der Geschlechtsverkehr mit Bäumen und keine Kinderträume. Die Kinder brauchen neue Batterien, und, kaum mit frischer Energie (Futter) versorgt, versuchen sie die Flucht zu ergreifen... ein Wärter fängt sie wieder ein und schubst die automatisierten Baby-Kleidchen des Japaners Taro Chiezoe in ihren Raum zurück.
Die neue figurative Kunst ist vollkommen realistisch. Die abgebildete Realität ist nur mit zahlreichen medialen Vermittlungsschichten überzogen, die sich selbst schon hinreichend als Wahrheit geben und den Rekurs auf unbezweifelbare Tatsachen nicht mehr zulassen. Diese Philosophie wird nur noch durch das Drängen der Körpersäfte gebrochen. Auch den Künstlern ist der Gedanke gekommen, daß auch auf der x-ten Ebene des Simulacrums ein menschliches Rühren zum Besuch eines transphilosophischen Aborts ruft.
Die meisten Künstlerinnen und Künstler arbeiten mit Techniken, die in den Siebziger Jahren entwickelt wurden, ihre Statements haben eher mit einem wachen sozialen Bewußtsein als mit futuristischen Eskapaden zu tun. Die Ausstellung erinnert oft an das Konzept eines Museums der Obsessionen, wie es Harald Szeemann 1975 mit „Junggesellenmaschinen“ entwickelte, besonders bei Matthew Barneys Repressia-Installation mit seiner Version masturbativer Gerätschaften.
Die Demonstration sozialen Selbstverständnisses ist seit der Behauptung des Individuums in der Renaissance ins Wanken geraten,
1die fernsehdemokratische Gleichschaltung in permanenter gegenseitiger Abspiegelung erzeugt, wie schon Andy Wahrhol und David Bowie wußten, nur „Helden für einen Tag“. Dauer wird vergeblich gefordert, nur der Wandel ist konstant wie die sich über zehn Jahre ändernden Erscheinungsformen der Milliardärstochter und Terroristin Patty Hearst (ins Bild gerückt von Dennis Adams).
Die Bindungslosigkeit solcher Biographien ist bei genauem Hinsehen sehr wohl psycho-logisch. Unanalytisch, vordergründig und irra-
1tional sind hingegen die Präsentationsformen in den Medien. Idole wie der sexuell undefinierbare, interrassische Zombie Michael Jackson sind eher Beispiele für Top- Marketing durch Mittelwertbildung als Vorboten eines wünschenswerten virtuellen Sex im Cyberspace, als den ihn Jeffrey Deitch im Katalog anpreist.
Die Reflexion über das bio-industriell ermöglichte Neue Leben geht in dieser Kunstzusammenstellung nicht so weit wie im Kino, beispielsweise im gerade wieder neu gestarteten Filmklassiker Blade
1Runner. In einem Punkt bleibt Jeffrey Deitch bei allem seltsam konservativ: Er versichert tröstlich, daß auch die noch so entwickelte Technik die Kunst brauche, um Inhalte und Formen zu definieren. Und so ist es kein Zufall: Hinten ganz links wird noch gearbeitet an einem weißen Raum, den erst die Zukunft füllen wird. Und was das auch sein wird, so lange jemand Unterleibsbedürfnisse hat, ist er noch kein Android. Meint:
Hajo Schiff
Große Deichtorhalle, Di-So, 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr. Bis zum 9. Mai.
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