Sanssouci
: Nachschlag

■ Das Freie Theater Beijing spielt „Warten auf Godot“

Das melancholisch-heitere Warten von Estragon und Wladimir, das seit drei Jahrzehnten die europäischen Bühnen beschäftigt, hat nun auch die VR China erreicht. Meng Jinghui, Jahrgang 1965, gilt als neues, avantgardistisches Regietalent – bestrebt, die eingefahrenen Wege chinesischer Theaterkultur weit hinter sich zu lassen. Im Haus der Kulturen der Welt war seine strenge, politisierende Version von Samuel Becketts „Warten auf Godot“ zu sehen. Der Überraschungscoup der jungen Truppe: Am Ende scheint Godot, die Inkarnation der nie körperhaft werdenden Heilsversprechung, tatsächlich aufzutreten. Im Dunkel der hereinbrechenden Nacht steht plötzlich ein Fremder in der Tür, und die notorischen Zeitvertreiber Estragon und Wladimir töten diesen Mann ohne weitere Umstände. Die beiden absurden Wortakrobaten, wie sehr wir auch zwei Stunden lang über sie lachen durften, werden schließlich gnadenlos schuldig gesprochen.

Der weiße Wecker am Bühnenrand, der immer wieder so eindringlich losheulte, wenn die Sprache auf den abwesenden Herrn Godot kam, verweigert ab sofort seinen Dienst, weckt nicht mehr irritierend in eine wie auch immer geartete Zukunft, sondern belastet hinfort mit seinem stummen Zählen die verbleibende Zeit.

Pozzo und Lucky – das prototypische Gespann von Herr und Knecht – geben die aktualitäsbezogenen Indizien: Pozzo ist ein straffer Prügelfunktionär dieser Tage, der, mit Sonnenbrille und Schlagstock ausgerüstet, die Brutalität einer diktatorischen Machtseele hinreichend zum Ausdruck bringt, während Lucky als koffertragendes Faktotum die Last der buckelnden Klasse tragen muß. Selten sah man einen Lucky mit so wachen Augen und revoltierendem Schmollmund in der Szene stehen und auf die Befehle warten, die seinen Herren in aller Deutlichkeit selbst entlarven. Um so fataler wirkt es dabei, wie gestört das Verhältnis zwischen Lucky und den verwandten Seelen Wladimir und Estragons verläuft, die sich schonungslos bekriegen, statt sich gegen die Verhältnisse zu vereinigen. Die Ingredienzien dieser Aufführung verweisen auf die Machtstruktur einer diktatorische Gesellschaft. So wird die Wahnsinns-Metapher zum politischen Appell, und der existentialistische Kern wächst sich zur revoltierenden Masse aus. Am Ende der jeweiligen Akte tritt nicht der kleine unschuldige Junge auf, der die Wartenden auf morgen vertröstet, sondern zwei wie aus einem Ei gepellte Krankenschwestern, die das stereotype „Ja, morgen wird alles anders“ in der Verdopplung von vornherein negieren: Die Welt wird definitiv zum Irrenhaus, das vielleicht nicht selbstgewählt ist – der Ausbruch, der ausbleibt, geht jedoch aufs eigene Konto. baal

Am Mittwoch, dem 17.3., um 11 Uhr findet eine weitere Vorstellung für Schulen statt. Voranmeldung unter 39787141