Erneut Bedenkliches

Die Erfindung der Korruption liegt lange zurück und vermutlich nicht in Bayern. Der Bevölkerung dieses Landstrichs werden grammatikalischer Eigensinn und Neigung zum Schweinebraten nachgesagt; jene Verfeinerung der Intelligenz, die in der Intrige mündet, konnte dort bis zum 20. Jahrhundert nur in Einzelfällen beobachtet werden. Historisch unterschätzt wurde allerdings der Stilwille der Bayern, ein Umstand, auf den der Ethnologe R.W.B. McCormack in seiner zeitgenössischen Studie „Tief in Bayern“ aufmerksam macht: „Der Stamm hat immer Wert auf Kultur gelegt, Kultur verstanden als einheitlichen Stil in den Lebensäußerungen eines Volkes. Das Bestechungsgeld vor dem Eintritt ins Deutsche Reich wurde in einer Saffianmappe überbracht. Angewidert blickt der geschichtsbewußte Bayer heute nach Bonn oder Düsseldorf, wo bei ähnlichen Gelegenheiten unpersönliche DIN-A4-Umschläge zur Verwendung kommen.“

Diese Beobachtungen lagen vor dem Wechsel Theo Waigels ins Bonner Finanzministerium, an den wir naturgemäß große Hoffnungen knüpften. Würden nun endlich die Kulturleistungen im Bereich der heiklen pekuniären Transaktionen auf ein voralpines Niveau gehoben?

Die Enttäuschung ist die Schattenmorelle der Hoffnung, und in der Dämmerung, wenn auch die Weisheit ihren Tiefflug beginnt, wird deren Kern in seiner harten Größe sichtbar: Im Bereich von Kostenabgleich und Korruption ist kein stilistischer Fortschritt zu erkennen. In Bonn macht Waigel den Sparmeister und rechnet die Sozialabgaben so brachial herunter, daß die Mehrfachnutzung der Einwegwindel für alleinerziehende Mütter wahrscheinlich wird. Statt der großen Geste (die Augenbrauensteuer!) nichts als kleinliche Fuchserei, statt des bilateralen Schwindels der Länderfinanzausgleich, statt der Haushaltssanierung nun die Abdankung per Sozialpakt — vermutlich in der unfrohen Erwartung, daß eine SPD-Regierung ab Winter 94 die Folgelasten tragen wird.

In Bayern selbst, der Heimat unseres Finanzministers, geht ebenfalls alles den gewohnt paarhufigen Gang. Eselsgleich läßt sich Max Streibl erwischen bei seinen allzu tumben Versuchen, in Südamerika sich kostenlos auf die Rindshaut zu legen. Die Allgäuer Firma Moksel kassiert aufgrund inniger Kontakte mit dem Tegernseer Schalck-Golodkowski, ehem. Ostberlin, eine „außerordentliche Exportunterstützung“ von 300 Millionen DM (gedacht als Hilfe für die Neuen Länder) für Rindviecher, die aus westdeutschen Ställen kommen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt wegen Verdachts auf Subventionsbetrug...

Nutzt Waigel nun seine Chance, stilvoll (Saffianledermappe! Geheime Kommandosache!) diese neue Form des Länderfinanzausgleiches zu beenden, indem er über die Zollfahndung ein paar Millionen für die Bundeskasse einfährt? Nichts da. Seine Behörde schreibt den Ermittlern einen Brief (vermutlich DIN A4 im trübbraunen Umschlag), in welchem die Frage der Rinderherkunft gegen jede föderale Tradition ganz lax nicht entschieden wird: Bei einem unterstellten „Pool“ aus Ost- und Westrindern liege die Frage des Subventionsbetruges im unabsehbaren Bereich der Interpretation... Moksel als Firma ist aus dem Schweinetreiben raus, und ermittelt wird gegen die 22jährige Sekretärin Susanne K. wegen Urkundenfälschung. Theo Waigel hat uns enttäuscht. Für Begünstigung auf diesem Niveau brauchen wir keinen Bayern, das machen unsere bewährten Kräfte auch ganz schön. ES