■ Der Feind Israels und der arabischen Regierungen
: Die islamische Alternative

Was ist das? Es trägt einen Bart, rezitiert ohne Unterlaß aus dem Koran, sehnt sich zurück ins Mittelalter und ist jederzeit bereit, im Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen sein Leben zu geben. Na? Richtig geraten: Ein islamischer Fundamentalist, kurz: Islamist.

Mit diesem Schreckensbild läßt sich trefflich Politik machen. So war es für viele Medien ein gefundenes Fressen, daß ein „Fundamentalist“ hinter dem Attentat auf das New Yorker World Trade Center stecken könnte. Die islamistische Gefahr schweißt alle zusammen, von den Politikern im Weißen Haus über die Parlamentarier im israelischen Knesset bis hin zu den Potentaten in arabischen Präsidentenpalästen.

Tatsächlich steht so manchem arabischem Regime das Wasser inzwischen bis zum Hals. Jahrelang wurden die Islamisten wie etwa im Falle Ägyptens von der Regierung dazu benutzt, um die Linke auszuschalten. In Israel wurden sie zunächst als Konkurrenzverein zur PLO mindestens mit Wohlwollen betrachtet. Doch stehen die Marionetten von gestern heute oft kurz davor, die Regie des Theaters zu übernehmen. In einigen arabischen Staaten bilden sie jetzt die einzige ernstzunehmende Alternative zum herrschenden Regime — und das in einer Zeit ökonomischer, politischer und kultureller Krise, in der die meisten Araber ihr Vertrauen in ihre Regierungen verloren haben. In den von Israel besetzten Gebieten zählen die islamischen Fundamentalisten zu den erbittertsten Widersachern der Besatzung.

Die Regierungen in Tunesien, Algerien und zunehmend auch in Ägypten antworten auf den islamistischen Aufschwung vor allem mit Anti-Terror- und Polizeimaßnahmen. Schnell werden alle Islamisten mit dem Attribut „terroristisch“ versehen und — mit einigen wenigen Ausanhmen wie Jordanien — aus dem politischen System auszugegrenzt. Ihre politischen Organisationen werden verboten, sie werden mit Hilfe von Notstandsgesetzen zu Tausenden verhaftet, nicht selten auch gefoltert. In Schauprozeßen vor Militärgerichten, wie jetzt in Ägypten, wird mit ihnen kurzer Prozeß gemacht. Im Westen herrscht gegenüber derartigen Menschenrechtsverletzungen auffälliges Schweigen . Selbst viele liberale Intellektuelle in den arabischen Ländern drücken schon mal beide Augen zu. Menschenrechtsnormen gelten eben nicht für Islamisten.

Israel und die USA haben ihre Chance entdeckt: Es bietet sich ein historischer Deal mit der Angst der arabischen Regimes vor deren eigener Opposition ab. Zum erstenmal ist ein gemeinsamer Feind in der Geschichte Israels und der arabischen Regimes ausgemacht. Die Rechnung ist einfach. Israel deportiert kurzerhand 400 dieser „Outlaws“ in Form von islamistischen Hamas-Mitgliedern und wartet, was passiert. Nach einem ersten großen Aufschrei ist es wieder ruhiger geworden. Hinter den Kulissen offizieller Erklärungen, sprechen PLO-Offizielle bereits von ihrem Unmut, daß es ausgerechnet Deportierte von der Hamas-Konkurrenz sind, die nun den Nahostverhandlungen im Wege stehen. Empört reagierte die ägpytische Presse, als der Sprecher der Deportierten es wagte, die ägyptische Regierung für ihren allzu laxen Standpunkt gegenüber Israel zu kritisieren. „Gott bewahre uns vor einigen unserer Brüder“, schrieb der Chefredakteur der ägyptischen Zeitung Al-Ahram danach.

Steht man nun kurz vor dem Geschäftsabschluß? Gerüchten zufolge soll der neue US-Außenminister Christopher dem ägyptischen Präsidenten Mubarak vorgeschlagen haben, daß sich Araber und Israelis in Washington zusammensetzen könnten, um darüber zu beraten, wie man dem islamistischen Terror am besten gemeinsam begegnen könnte. Eine technische Zusammenarbeit in Sachen „Terrorbekämpfung“: Damit wäre geschafft, was monatelange Nahostverhandlungen nicht erreicht haben. Arabische Regimes und die israelische Regierung würden friedlich gegen einen gemeinsamen Feind – eben den besagten bärtigen Fundamentalisten – zusammenarbeiten. Eine Zukunftsvision?

Als Zeichen guten Willens, hat man in Washington inzwischen angekündigt, die islamistische Hamas-Bewegung auf die Terroristen-Liste zu setzen. Die US-Diplomaten wurden angewiesen, alle Kontakte zu Hamas-Mitgliedern in der Region abzubrechen.

Doch was hilft's? Die Gruppe der islamistischen „Outlaws“ wächst weiter. Es ist eine Binsenweisheit, daß Polizeimaßnahmen, seien sie noch so gut koordiniert, einer Bewegung in der Größe und mit der Verwurzelung der Islamisten wohl kaum Einhalt gebieten können.

Im Westen scheinen die sonst so hochgehaltenen Prinzipien von Demokratie und Menschenrechten angesichts der „islamistischen Gefahr“ in Vergessenheit zu geraten. Im Falle Algerien atmete man auf, als die Militärs nach einem fulminanten Wahlsieg der Islamisten den zweiten, entscheidenden demokratischen Urnengang über einen Putsch verhinderten. Jetzt sitzen die um ihren Wahlsieg Betrogenen ihre Zeit ab. Sie wissen, daß ihre Stunde früher oder später schlagen wird. Und mit jedem Tag neuer Polizeieinsätze, Gefängnis- und Todesstrafen wird die Bewegung radikaler und militanter.

Das scheint einige Köpfe in den USA nachdenklich gemacht zu haben. Das Forschungszentrum für Außenpolitische Angelegenheiten des amerikanischen diplomatischen Dienstes schlug letztes Jahr auf einem Seminar zum Thema „Politischer Islam“ eine völlig neue Strategie im Umgang mit Islamisten vor. Hier scheint man aus der algerischen Erfahrung gelernt zu haben. „Nicht ausgrenzen, sondern integrieren“, lautet die Devise des US-Institutes fürs nächste Mal. Islamische Theorie könne vielseitig interpretiert werden und sei in vielerlei Hinsicht kompatibel mit Internationalen Menschenrechtsnormen und politischem Pluralismus, heißt es im Abschlußbericht. Es gehe darum, die islamistische Bewegung differenzierter als bisher zu betrachten. Diejenigen, die einen islamischen Reformkurs vertreten, müssen integriert werden. Wenn die Islamisten alle ausgegrenzt würden, zwinge man sie, mangels Alternativen Gewalt als letztes Mittel anzuwenden. Indem man sie alle an den Rand dränge, schließe man die Reihen einer heute noch äußerst heterogenen Bewegung, heißt es sinngemäß im Dokument. Die US-Regierung wird aufgefordert, befreundeten Regierungen zu raten, sich mit ihren islamistischen Kritikern auseinanderzusetzen, anstatt sie zu verbannen. Weiter wird dem Weißen Haus empfohlen, die Kontakte zu den islamistischen Bewegungen aufrechtzuerhalten, um sich nicht jeder Einflußmöglichkeit zu begeben.

Diese neuen Töne aus einem Forschungsinstitut unter den Fittichen des US-Außenministerium lassen aufhorchen. Fraglich bleibt, ob sich eine solche Linie durchsetzen kann.

In den arabischen Ländern selbst entsteht unter einigen linken und liberalen Intellektuellen ein neues Denken. Auch sie argumentieren, daß man das Problem Islamismus nicht einfach ausradieren kann. Statt dessen plädieren sie für einen fortgesetzten Diskussionsprozeß mit ihren islamistischen Kollegen. Unter den Islamisten gebe es viele weltoffene Köpfe. „Warum hilft man ihnen nicht, die Führung der Bewegung zu übernehmen?“ fragen sie. Fundamentalismus ist nicht das Ende islamischer Geschichte. Daß Israel und die arabischen Regimes nun einen gemeinsamen Feind haben, mag man im Weißen Haus als Erfolg verbuchen. Doch könnte es sich schon bald als Eigentor herausstellen. Und dann ist nicht auszuschließen, daß die amerikanischen Politiker den Überblick über ihre Terroristenlisten verlieren. Karim El-Gawhary, Kairo