Viel Papier, keine Freiheit

■ Bei "Slobodna Dalmacija" ist jetzt die kroatische Regierung Chefredakteur

Split (taz) – Betretene Gesichter hatten alle, die sich in den Redaktionsräumen der kroatisch-dalmatischen Tageszeitung Slobodna Dalmacija in Split versammelt hatten. Ging es doch um eine Entscheidung, die nicht nur die zukünftige Ausrichtung und den Status der Zeitung betrifft, sondern um die Zukunft der Pressefreiheit in Kroatien überhaupt. Die Mehrheit der Redaktion – 100 von 120 Journalisten –, die sich seit drei Tagen in einem Streik befindet, will nicht hinnehmen, daß die kroatische Regierung künftig die Inhalte der Zeitung beeinflussen kann. Doch gerade dies wurde in den letzten Tagen durchgesetzt: Ein neuer Verwaltungsrat ist gebildet, ein neuer Generalmanager eingestellt und einer neuer Chefredakteur bestellt worden. Der Redaktion bleibt jetzt kaum noch etwas anderes übrig, als klein beizugeben.

Slobodna Dalmacija galt bisher als das Flaggschiff des kroatischen Journalismus. Die Tageszeitung, die nicht nur regional in Dalmatien, sondern in den letzten Jahren zunehmend im ganzen Land und auch im Ausland an Bedeutung gewonnen hat, überzeugte bislang mit Witz und investigativem Journalismus ihre LeserInnen. Mit einer Auflage von rund 100.000 Exemplaren bot sie Intellektuellen ein letztes Forum, um die Entwicklungen im Lande kritisch zu beleuchten. „Dies ist wohl jetzt vorbei“, erklärten die Redakteure der satirischen Beilage „Feral Tribune“ Ende letzter Woche während der Redaktionsversammlung. Mit der Strangulierung anderer kritischer Publikationsorgane wie der Wochenzeitschrift Danas im Oktober, wie der regierungsfreundlichen Ausrichtung der Tageszeitungen Vjesnik und Vecerni List und der elektronischen Medien sei es der Regierung jetzt endgültig gelungen, das noch fehlende Kettenglied für die totale Kontrolle der Presse zu schließen.

Die neuen Besitzverhältnisse, die mit der Entscheidung eines Gerichts in Split seit letztem Donnerstag zementiert sind, lassen nämlich der Regierung alle Möglichkeiten der Einflußnahme auf die redaktionelle Ausrichtung des Blattes. Denn 45 Prozent der Anteile werden seitdem von drei Banken gehalten, die sich in staatlichem Besitz befinden. Da auch noch der staatlich kontrollierte kroatische „Privatisierungsfonds“ (25 Prozent) und die Druckerei zusammen über 30 Prozent der Anteile verfügen, bleiben für die Beschäftigten nur noch 25 Prozent übrig. Daß sich die Richtung dramatisch verändern wird, ist mit der Bestellung des neuen Chefredakteurs klargeworden. Dino Mikulandra, ein 33jähriger ehemaliger kommunistischer Jugendfunktionär, nämlich gilt bei den Kollegen als einer, der nun auf den nationalistischen Zug aufgesprungen ist und über beste Kontakte nach Zagreb verfügt.

Der Coup ist in der Öffentlichkeit schon vorbereitet worden. Großen Protest der Redaktionsversammlung erntete ein Redner, der sich über einen Fernsehbeitrag beklagte: Im Fernsehen wurde ein Spot gezeigt, in dem ein Leser ein Exemplar der Zeitung zerriß. „In der Öffentlichkeit ist das Bild entstanden, bei der Zeitung handele es sich um ein Blatt, das noch immer kommunistische Ideen vertritt“, erklärte denn auch Marian Zunić, einer der Redakteure, die die neue Linie vertreten.

Zunić, seit 20 Jahren Mitglied der Redaktion, nennt jedoch auch ernstzunehmende Gründe für die Veränderung des Blattes. „Hier wurden zu viele untergeordnete Probleme diskutiert, so konnte kürzlich der ehemalige Botschafter in Moskau Andjelko Bunić auf fünf Seiten seine Meinung sagen, während wir gleichzeitig in Sibenik und Zadar Krieg haben und der Strom für 10 Stunden täglich abgestellt werden muß. Wir müssen uns den konkreten Problemen der Menschen zuwenden.“

Daß Fehler gemacht worden sind, möchten die der Opposition angehörenden Redakteure auch gar nicht bestreiten. In einer offenen Diskussion könnte man da sicherlich zu einer befriedigenden Lösung kommen, meinen sie.

„Daß die Regierung jedoch nicht einmal versteht, daß mit der Einschränkung der Pressefreiheit die internationale Reputation Kroatiens leiden wird“, vermögen sie nicht mehr zu verstehen. „So sind wir letztlich noch die besseren Patrioten“, witzelte ein Karikaturist der Zeitung am Ende der Veranstaltung. „Uns bleibt nur noch die Hoffnung auf den Europäischen Rat, der die Bewilligung von Wirtschaftshilfen mit der Aufrechterhaltung der Pressefreiheit in Kroatien verbinden kann.“

Frau De Lumiere, die derzeitige Vorsitzende des Europäischen Rates in Straßburg, hat dementsprechend bei Tudjman interveniert. „Doch letztlich bleibt den Redakteuren wahrscheinlich nichts anderes übrig, als sich zu beugen oder den Job aufzugeben.“ Am Freitag beschloß die Versammlung erst mal, weiterzustreiken. Erich Rathfelder