piwik no script img

Die entkolonialisierte Leinwand

■ Das 13. Festival des Panafrikanischen Films in der Hauptstadt Burkina Fasos, Ouagadougou: Grellbunte Bilder auf der Suche nach schwarzer Geschichte gegen die Einförmigkeit der Kolonialkultur

Seit dem Erfolg von „Samba Traore“ auf der diesjährigen Berlinale ist das schwarzafrikanische Kino kein Geheimtip mehr. Auf dem Kontinent hat sich unter schwierigsten Bedingungen eine autonome Kinematographie entwickelt. Sie erzählt Geschichten, die sich nicht in das gängige Afrika-Muster vom Chaos- und Katastrophenkontinent einordnen lassen. Burkina Faso (zu deutsch: das „Land der Freien“) ist das Zentrum dieses Kinos, und das alle zwei Jahre in der Hauptstadt Ouagadougou stattfindende „Festival des Panafrikanischen Films für Film und Fernsehen (FESPACO) ist ein Schaufenster für Trends und Entwicklungen.

„Rabi“ von Gaston Kaboré, dem Mentor des burkinischen Films, ist ein poetischer Dorf-Film, der ohne die mythische Dimension von Ouédraogos „Yaaba“ die Entwicklung eines Jungen beschreibt. Der zweite Film von S. Pierre Yameogo, dem populärsten Filmemacher Burkinas, „Wendemi“, erzählt von einem Findelkind, seiner Entwicklung und Elternsuche. Er greift viele Themen auf: Probleme nichtehelicher Kinder, die Verlogenheit religiöser Autoritäten, Inkompetenz der Bürokratie und das Tabuthema Prostitution. Um Fremdenhaß in einem fiktiven westafrikanischen Land geht es in Mamadou Djim Kolas „Toungan – Les Etrangers“, der – typisch für einige Filme des Festivals – über seiner gutgemeinten Botschaft seine Bildersprache völlig aus den Augen verliert.

Im Wettbewerb um den Hauptpreis waren Filme aus sechzehn schwarzafrikanischen und arabischen Ländern vertreten, wobei die letztgenannten traditionsgemäß nur eine Alibirolle spielen und mit ihrer zweiten Garde vertreten waren. Der Kampf gegen die fortdauernde Präsenz kolonialer Politik ist Thema vieler Filme. Der guineische Beitrag „Bland d‘Ebène“ von Cheik Doukoure erzählt in der Form des Action-Kinos von tödlichen Auseinandersetzungen mit den französischen Kolonialherren in einem kleinen Dorf. Flora Gomes aus Guinea- Bissau berichtet in seiner einfachen Liebesgeschichte „Les yeux Bleus de Yonta“ von immer noch portugiesisch geprägter afrikanischer Lebensweise mit satirischer Kraft und Ironie. „Gito l‘Ingrat“ von Leonce Ngabo ist der erste lange burundische Film, der die Rückkehr eines Machos in die Hauptstadt Bujumbura schildert und die Lektion, die ihm eine schwarze und eine weiße Frau erteilen. Der Senegalese Moussa Toure schickt in „Toubab-Bi“ einen Filmstudenten aus Dakar durch die Absurditäten des Lebens der Metropole Paris.

Jede afrikanische Produktion ist von ungeheuren finanziellen Problemen belastet. Ein Beispiel für mühevolle Suche nach Filmgeldern und die Konzessionen, die sich aus solchen Kooperationen ergeben, ist „Sankofa“ des Äthiopiers Haile Gerima. Die Gelder stammen aus Äthiopien, Burkina Faso, Ghana, Frankreich, England und Deutschland; daß nach starkem Beginn voller Dynamik Bilder in der Tradition des historischen Fernsehspiels dominieren, dürfte den Forderungen europäischer Sender zu danken sein.

Der Hauptpreis des FESPACO ging an „Ao nom du Christ“ von Gnoan Roger M'Bala aus der Elfenbeinküste. Er findet für die zweite Eroberung des Kontinents durch die monotheistischen Religionen grell-bunte Spiegelbilder christlicher Missionarstätigkeit. Für ihn ist die „spirituelle Kolonisierung Afrikas“, das Ausschalten und Erwürgen der animistischen Religionen, nicht weniger bedeutend als das Jahrhunderte währende ökonomische Aussaugen durch die alten europäischen Herren. Der Film entwirft die Geschichte eines Dorfes, das sich von seiner religiösen Identität trennt, mit atemberauschender bildgewaltiger Konsequenz. Ein selbsternannter Prophet – zuvor als Imbeziler eingeführt – schwingt sich zum geistigen und weltlichen Herrscher auf, bevor er sich in Annahme eigener Unsterblichkeit blutig am Kreuz töten läßt.

Anders als die Spielfilme zeigt der Dokumentarfilm häufig direkt die politische Realität des Kontinents. Raoul Pecks „Lumumba, la mort d'un prophete“ berichtet vom Beginn des politischen Dramas von Kongo/Zaire, der international geplanten Ermordung Patrice Lumumbas, während „Zaire, le cycle de serpent“ von Michel Thierry einen Eindruck von der Verwüstung vermittelt, die das Mobutu-Regime in dem Land hinterlassen wird. Die Suche nach originären Bildern für schwarze Geschichte und Helden führt den Zairer Balufu Bakupa-Kanyinda zur Kurzdokumentation „Thomas Sankara“, dessen Aufführung im Rahmen des FESPACO als Sensation gewertet wurde, ist doch der heutige Staatschef Compaore dessen Mörder. In diesen Zusammenhang passen die Sondervorführungen von Lees „Malcolm X“, der vom schwarzen Publikum euphorisch gefeiert wurde.

Auffällig in diesem Jahr war die künstlerische Krise des anglophonen Films. Aus Kenia, Zimbabwe, Ghana oder auch Nigeria gab es überaus konventionelles Kino, voll biederster Langeweile, Spießigkeit, ohne jede konkrete soziale Situierung.

Außer Konkurrenz war der voraussichtlich letzte Film von Ousmane Sembène zu sehen, „Guelwaar“: ein leidenschaftlicher Aufruf an Afrika, sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen, Autonomie zu entwickeln und nicht auf Hilfe von außen zu setzen. Verwoben darin sind Reflexionen zur Religiosität am Schnittpunkt zwischen Islam und Christentum. „Guelwaar“ will als politisches Testament Sembènes gelesen werden, der seinen Film nicht für den Wettbewerb freigegeben hatte, um der jungen Generation afrikanischer FilmemacherInnen eine Chance zu lassen.

Eine ernstzunehmende Nachfolge für Sembène erwächst vor allem aus Burkina Faso. „Jigi“ von Kollo Sanou ist ein Film über eine Familie im Mossiland Burkinas, die einer Folge von Katastrophen ausgesetzt ist. Unzureichende Ernten, Verschuldung und Krankheit spiegeln sich in den Minen der Figuren, Sanou vertraut auf die Kraft und Wahrheit seiner Bilder. Ein kleines Juwel ist der burkinischen Regisseurin Fanta R. Nacro gelungen. In „Un certain matin“ verläßt ein Mann mit einem Gewehr das Haus, trifft auf Zeichen, die Unheil verkünden und sich verdichten. Eine Frau rennt, verfolgt von einem Mann, durch die Felder. Unser Man greift ein und schießt den Verfolger nieder. Die zurückfahrende Kamera macht die ganze Szenerie als Filminszenierung sichtbar: In Burkina wird wieder einmal ein Dorf-Film gedreht. Der Schütze muß fliehen, sein Sohn sucht ihn in seinem Versteck auf und fragt ihn: „Papa, was ist das eigentlich, Kino ...?“ Max Annas, Däne Heinen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen