Die versteckten Sozialkürzungen im Solidarpakt

■ Die eigentlichen Verlierer sind die Sozialhilfeempfänger/ Robin Soz bezichtigt SPD der „Solidarpakt-Lüge“/ Länderfinanzminister beraten über Einsparungen

Berlin (taz) – „Die SPD hat Wort gehalten. Die sozialen Kürzungen sind vom Tisch.“ So versuchte SPD-Bundesgeschäftsführer Karl-Heinz Blessing die Parteibasis in einem Brief auf die Solidarpakt-Beschlüsse einzuschwören. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Zwar sind lineare Kürzungen beim Erziehungsgeld, Wohngeld und Arbeitslosengeld abgewendet worden. Gespart wird trotzdem, wenn auch subtiler. So müssen Empfänger von Wohngeld künftig sofort melden, wenn sich ihr Einkommen um 15 Prozent erhöht. Das Wohngeld wird dann entsprechend gekürzt. Auch beim Erziehungsgeld wird eine zeitnähere Berechnung der Einkünfte eingeführt. Davon verspricht sich das Bundesfamilienministerium in diesem Jahr Einsparungen von 16 Millionen, in den nächsten Jahren Jahren 70 Millionen Mark.

Die eigentlichen Verlierer der Solidarpakt-Beschlüsse sind jedoch die SozialhilfeempfängerInnen. Ihnen droht nach wie vor eine reale Kürzung – auch wenn diese geschickt kaschiert ist. Nach den bisherigen Plänen aus dem Bundesfamilienministerium soll die Erhöhung der Regelsätze in diesem Jahr auf zwei Prozent und im nächsten Jahr auf drei Prozent begrenzt werden. Zum Vergleich: 1992 betrug die Erhöhung 6,5, 1991 5,7 Prozent. 1987 und 88 lag sie jedoch nur bei 2,3 Prozent und 1989 bei 2,9 Prozent.

Nach den Solidarpakt-Gesprächen am Wochenende verlautete aus SPD-Kreisen, daß die Erhöhung in diesem Jahr drei Prozent betragen soll. Haushalte ab vier Personen gucken nach dem Gesetzentwurf des Bundesfamilienministeriums jedoch in die Röhre. Für sie verrechnet sich die zweiprozentige Erhöhung 1993 mit einer zweiprozentigen Kürzung, so daß ihre Bezüge eingefroren werden. Der Sprecher der sozialpolitischen Aktionsgruppe Robin Soz, Alfons Kleine-Möllhoff, bezichtigte die SPD der „Solidarpakt- Lüge“. Aus finanzpolitischen Interessen würden Länder und Kommunen den gesetzlich festgelegten jährlichen Ausgleich der Teuerungsrate beim Sozialhilfe-Regelsatz willkürlich begrenzen.

Ob es bei diesen Plänen bleibt, hängt jetzt von der Runde der vier Länderfinanzminister mit dem Bundesfinanzminister ab, die heute über noch strittige Einsparungen berät. Ob die Länderfinanzminister die Deckelung des Sozialhilfe-Regelsatzes zurücknehmen, ist fraglich. Wenn die Runde die Kürzungen bei der Sozialhilfe zurücknimmt, muß sie woanders sparen. Dabei werden die Finanzminister ohnehin schon Mühe haben, die erforderlichen neun Milliarden Mark zusammenzubekommen. Und daran haben sie ein massives Interesse. Denn wie aus Länderkreisen zu erfahren war, hat Bundesfinanzminister Waigel die Länder mit einem geschickten Schachzug unter Druck gesetzt. Sie erhalten die sieben zusätzlichen Prozentpunkte aus der Mehrwertsteuer nur, wenn sie sich auf die besagten neun Milliarden Mark Einsparungen einigen. Schaffen sie dies nicht, sinkt ihr Anteil an der Mehrwertsteuer entsprechend.

Erklärtes Ziel des Solidarpakts ist auch die Bekämpfung des Mißbrauchs von sozialen Leistungen. Nicht nur bei den Beziehern von Arbeitslosengeld und -hilfe wird jetzt schärfer kontrolliert, auch Sozialhilfeempfänger sollen demnächst „regelmäßig“ überprüft werden. Ein erster Gesetzesvorschlag aus dem Bundesfamilienministerium liegt bereits vor. Der neue §117 im Bundessozialhilfegesetz sieht vor, daß die Sozialämter künftig Daten anderer Verwaltungsstellen und der kommunalen Wirtschaftsbetriebe abrufen können. Außerdem sollen diejenigen ermittelt werden, die gleichzeitig Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit beziehen oder einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen und dies beim Sozialamt nicht angegeben haben. Die Sprecherin des Bundesbeauftragten für Datenschutz, Helga Schumacher, erklärte dazu, die gesetzliche Grundlage für die Überprüfung müsse einen Katalog der Daten enthalten, die abgefragt werden dürfen. Ein solcher Katalog sei im Entwurf aber ebensowenig enthalten wie Angaben zur Durchführung. Dorothee Winden