Franz' Schatten liegt überm Sohn

■ Stefan Beckenbauer will es allen beweisen - vor allem IHM. Aber er sitzt meist auf der Reservebank

„Du fragst mich gar nicht, was ich heute gemacht habe, Schatzi.“

„Was hast du gemacht, Babsi?“

„Ich war in der Spielo.“

„Und?“

„Ich habe gewonnen, Schatzi.“

„Wieviel denn, Babsi?“

„600 Mark, Schatzi.“

„Wie schön.“

Unterm Tisch, ganz hinten in der Ecke beim Italiener „Leonardo“ liegt Duke, ein mächtiger, schwarzer Knurrer. Babsi, sein Frauchen, sitzt zurückgelehnt da, nippt an der eisgekühlten Cola, rafft mit der rechten Hand immer wieder das weitausgeschnittene Jackett zusammen. Sie hat, sagt sie, früher mal als Model gearbeitet. „Aber jetzt kann ich auch im Fußball mitreden. Ich weiß, was Abseits ist.“

Als ob er nicht hört, was seine Babsi da erzählt, hockt Stefan Beckenbauer an dem Tisch, den Blick in die Ferne gerichtet. Er trinkt seinen Milchkaffee und rührt, rührt und trinkt. Leicht nach vorne gebeugt sitzt er da, Goldkettchen um den Hals, italienische Glücksbändchen am rechten Handgelenk, und Stefan Beckenbauer riecht teuer. „Für mich“, hatte er vorhin gesagt, „gibt's nur noch eines: Fußball, Fußball, Fußball. Und meine Freundin.“

Stefan B., 24 Jahre alt, liebt den Fußball, eine unglückliche Liebe, und das ist tragisch für einen, der keinen Schulabschluß und keine Berufsausbildung hat, sondern vor allem eines ist: Sohn.

Sohn von Kaiser Franz, dem deutschen Fußballgott, dessen lässiges Spiel im Kopf der Fußballfans für alle Ewigkeit gespeichert ist.

Warum zum Teufel ist Stefan Beckenbauer nicht Klempner oder Metzger geworden? Stefans Blick kommt langsam aus der Ferne zurück, er stülpt sich die schwarze Sonnenbrille über die Augen und zuckt mit den Schultern. „Früher war mein Name mal ein Problem für mich. Weil die Idioten über mich gelacht haben. Aber jetzt mach' ich mir darüber keine Gedanken mehr.“

Jetzt, hier in Saarbrücken, am Beginn seiner „wirklichen“ Karriere, seinem ersten Jahr als „echter“ Profi, nimmt sich Stefan Beckenbauer das Recht heraus, seine Vergangenheit zu entsorgen. „Stefan Beckenbauer. Optimist“ heißt die Inszenierung. Blicke zurück sind nicht mehr vorgesehen.

Denkverbot als Schutzwall: Seine Karriere – eine grandiose Niederlage? Grandios verkorkst? Unfähige Trainer, dumme Präsidenten, neidische Schiedsrichter, Verletzungen sind schuld an seinen Leistungseinbrüchen, sagt er. Daß er beim FC Bayern München kläglich gescheitert, beim Drittklasseklub 1860 München aussortiert worden ist, daß er es bei den Amateuren von Kickers Offenbach auch nicht gepackt hat, daß er in die tiefste Fußballprovinz zu unbedeutenden Kickern in die Schweiz geflohen ist – na und?

Verdrängt hat des Kaisers Sohn auch, daß er früher unter der Kritik seines Vaters gelitten hat wie ein Hund. Nein, nein, sein berühmter Vater, ER – „wirklich!“ – habe nichts damit zu tun, daß er nun beim Bundesliga-Aufsteiger Saarbrücken untergekommen ist.

Und wieder verfällt Stefan Beckenbauer in Schweigen, rührt seinen Milchkaffee, merkwürdig verträumt. Man möchte ihn wachschütteln. Er nickt der Kellnerin zu– „die ist hübsch!“ –, zündet sich eine Marlboro Light an, nimmt einen tiefen Zug, lacht und sagt: „Der Franz darf nicht wissen, daß ich rauch'! Das mag er gar nicht!“

Hinter rostigem Stacheldraht duckt sich das Vereinsheim des 1.FC Saarbrücken, Putz bröckelt, auf der Gegentribüne sprießt Unkraut – deprimierender NVA-Kasernen-Charme. Große Zeiten hat dieser Klub noch nie erlebt, es wird sie wohl auch in Zukunft nicht geben – 1986 war er zum letzten Mal in der ersten Liga. Müde quälen sich die Spieler über den Rasen, huckepack müssen sie sich gegenseitig tragen – Stefan Beckenbauer findet als einziger keinen Partner.

Im Schatten der Tribüne beobachten dickbäuchige Rentner die Trainingsschikanen. Und den „Beckenbauer-Bub“, der von der Tribüne herab wie eine etwas zu stämmig geratene Kopie seines Vaters wirkt, beäugen sie besonders kritisch. Und finden dann doch, daß er sich „ganz wie der Franz“ bewegt. „Aber viel zu langsam für 'n Manndecker ist der Bub!“ Und Torsten, 20, der seit zehn Jahren kein Spiel seines Vereins versäumt hat, meint: „Der packt's bei uns. Der packt's, weil es auf seiner Position keine Konkurrenz gibt.“ Alle, sie alle nicken und grinsen und wissen, daß er es nicht packen wird. Weil er, wie sie kalt kommentieren, „kein Techniker“ ist und „keine Erfahrung“ hat, „zu oft verletzt“ und überhaupt „zu wehleidig“ ist.

Spielen darf Stefan Beckenbauer in Saarbrücken nur, wenn ein Stammspieler krank ist oder wegen einer roten Karte ausfällt. Und erst einmal, sagt Torsten, hat Stefan ordentlich gekickt – gegen Bayern München. Aber da war auch ER im Stadion – eingedröhnt mit dem Hubschrauber war er, für ein paar Minuten. Und hat gar nicht mitgekriegt, wie der Sohn, sagt Torsten, „über sich hinausgewachsen“ ist.

Bedrückt wie ein Gefangener kommt Stefan nach dem Training daher. Lasch ist sein Händedruck, etwas feucht die Hand. „Was haben die Alten über mich gesagt? Daß ich arrogant bin? Daß ich wie mein Vater spiele? Geben Sie es zu: Das haben die gesagt!“ Und völlig unvermittelt spricht er plötzlich von seinem Traum: daß er es packen und in die Creme des deutschen Fußballs vorstoßen wird, garantiert – zu Borussia Dortmund oder zur Eintracht nach Frankfurt. „Ich sorge dafür, daß keiner mehr über mich lacht. Auch IHM werde ich's zeigen.“ Arno Luik

Autor beim Magazin „Tempo“