■ Kriegspsychose in den beiden Korea
: Bitte keine Bedrohungsszenarien!

„Wenn unser Heiliges Territorium von großen Mächten dadurch verletzt wird, daß uns Inspektionen oder Sanktionen aufgezwungen werden, könnte das der Funke für die Explosion eines Krieges sein, der den Norden wie den Süden Koreas ergreifen wird.“ Das Zentralorgan der nordkoreanischen Partei der Arbeit, „Rodon Schinmun“, sparte nicht mit martialischen Drohungen für den Fall, daß der UNO-Sicherheitsrat die Kündigung des Atomwaffensperrvertrags ahnden werde. So gefährlich dieser Schritt der Nordkoreaner als möglicher Präzendenzfall ist und so wenig erfreulich die Aussicht stimmt, daß das Land binnen weniger Jahre über mehrere Zentner aufbereiteten Plutoniums verfügen wird: Noch stehen wir nicht vor dem Abgrund eines neuen Korea-Krieges.

Die Ökonomie Nordkoreas, einst gepriesenes Vorbild für eine gelungene Abkopplung vom kapitalistischen Weltmarkt, stürzt seit vier Jahren im freien Fall. Der Außenhandel wurde von 1990 bis 1992 fast halbiert. Es fehlt an Devisen für den Import von Lebensmitteln und Ersatzteilen für die Maschinerie – dies um so mehr, als nach der Sowjetunion auch China nur noch gegen Dollar-Cash liefert. Der Thronwechsel vom „großen Führer“ Kim Il Sung zu seinem Sohn, dem „lieben Führer“ Kim Jong Il, geht nicht glatt vonstatten. Eben erst hat China sich geweigert, den designierten Erben mit den Ehren eines Staatsoberhaupts zu empfangen. Der kleine (51jährige) Kim muß sich der Loyalität des Herrschaftsapparats versichern. Das geht am besten in einer Atmosphäre des permanenten Belagerungszustands und mit Hilfe einer nationalistischen Überlebensideologie „Wir gegen alle“, die – man täusche sich da nicht – immer noch die „Massen“ des Nordens zu mobilisieren vermag.

Zu den inneren Problemen tritt die Gefahr, die aus dem Süden kommt. Mit dem Amtsantritt Kim Young Sams in Südkorea gerät die Symmetrie ins Wanken, mittels derer sich die diktatorischen Regime in beiden Teilen des Landes 40 Jahre lang gegenseitig stabilisierten, ja bedingten. Kim Young Sam hat, Intrigen und Widerstand zum Trotz, erkennnen lassen, daß er die südkoreanische Repressionsmaschine unter Kontrolle nehmen möchte. Als gelehriger Schüler der sozialdemokratischen Ostpolitik will er den Norden politisch-ökonomisch einbinden. Er ist gegen jede Isolationsstrategie, will aber Hilfen und Kredite an Zugeständnisse im Bereich der Menschenrechte knüpfen. Der Norden gerät durch diese Politik in ein Dilemma, konnte er doch bisher gefahrlos als Anwalt der Vereinigung posieren. Der kleine Kim kann nicht gleichzeitig Abgrenzung und nationale Demagogie betreiben.

In dieser Situation wäre der Süden gut beraten gewesen, die USA, den unverzichtbaren Propagandadämon des Nordens, auf freundlicher Distanz zu halten. 1992 hatte man auf die Abhaltung der traditionellen gemeinsamen Manöver verzichtet – als vertrauensbildende Maßnahme. Das gemeinsame Manöver jetzt spielt der nordkoreanischen Kriegspsychose ebenso in die Hände wie den antidemokratischen Kräften im südkoreanischen Planungsamt für nationale Sicherheit. Bitte keine internationalen Bedrohungsszenarien, wenn man Wert darauf legt, den Nordkoreanern ein Türchen für die Revision ihres Ausstiegsbeschlusses offenzuhalten! Christian Semler