Steuern auf alles, was sich besteuern läßt

■ Die Tories vor dem Rekorddefizit und setzen auf Steuererhöhungen ab 1995

London (taz) – Der britische „Budget Day“ ruft die gleichen Reaktionen wie die Zeugnisverteilung in der Schule hervor: Alle zittern vor dem Tag, erwarten ihn aber dennoch mit Spannung. Und ist der Tag schließlich gekommen, lamentieren fast alle über Ungerechtigkeiten.

Finanzminister Norman Lamont hat seinen Landsleuten am Dienstag eine Zeitbombe beschert. So werden die Steuern im kommenden Haushaltsjahr, das im April beginnt, nur minimal erhöht, um die abermals prophezeite wirtschaftliche Erholung nicht zu gefährden. Bis April 1994 werden lediglich 450 Millionen Pfund (gut eine Milliarde Mark) mehr als bisher in die Staatskasse fließen. In den darauffolgenden beiden Jahren müssen die BritInnen dann jedoch tief in die Tasche greifen.

Die staatliche Rentenversicherung steigt um ein Prozent, die Steuerermäßigung auf Hypothekenzinsen sinkt dagegen auf 20 Prozent und soll später ganz abgeschafft werden. RaucherInnen, Bier- und WeintrinkerInnen müssen künftig mehr für ihre Laster berappen. Und auch das Autofahren wird teurer: Die Benzinsteuer steigt um 10 Prozent, die Kraftfahrzeugsteuer um 15 Pfund pro Jahr. Auch Heizöl und andere Brennstoffe sowie Strom werden 1994 zunächst mit 8 und ein Jahr darauf mit 17,5 Prozent Mehrwertsteuer belegt.

Lamont ließ sich dabei freilich nicht von umweltpolitischen Gesichtspunkten leiten, sondern vom Haushaltsdefizit. Es wird im neuen Jahr 50 Milliarden Pfund betragen – fünf Milliarden mehr, als erwartet worden war. Die britische Finanzwelt reagierte deshalb trotz der insgesamt unternehmerfreundlichen Tendenz bestürzt auf das Budget. Das Defizit kletterte damit auf die Rekordhöhe von 1976, als die damalige Labour-Regierung beim Internationalen Währungsfonds einen Kredit beantragen mußte.

Mit den massiven Steuererhöhungen ab 1994 will Lamont verhindern, daß aus Großbritanniens zyklischem Defizit ein strukturelles wie in Italien wird. „Das Budget hat zwei Hauptziele“, sagte er am Dienstag. „Erstens hat es die grundlegende Aufgabe, die wirtschaftliche Erholung zu fördern. Und zweitens zielt es auf die Notwendigkeit ab, das Defizit in Angriff zu nehmen, damit die Erholung dauerhaft ist.“

Von den Wahlversprechen der Tories vor einem Jahr ist nichts mehr übriggeblieben. Damals gelobte Lamont, daß er weder die direkten noch die indirekten Steuern erhöhen werde, und warnte vor der „Steuergranate“ der Labour Party. Labour-Chef John Smith sagte vorgestern denn auch zu John Major: „Ich verstehe nicht, wie Sie hier als Premierminister einer Regierung sitzen können, die zu einem Betrug von solchem Ausmaß fähig ist.“ Die Finanzierung des Haushaltslochs wird gleichmäßig verteilt, die Einbußen liegen durchschnittlich bei 2,5 Prozent des Einkommens. Es liegt auf der Hand, daß Leute mit niedrigem Einkommen davon am stärksten betroffen sind.

Nach einer heftigen Debatte im Londoner Unterhaus gab die Regierung deshalb am Mittwoch bekannt, daß man überlege, fünf Millionen Pfund bereitzustellen, um die Steuerlast durch Zuschüsse für Bedürftige abzumildern.

Für die mehr als drei Millionen Arbeitslosen hält der Haushaltsplan lediglich schöne Worte und ein paar symbolische Gesten bereit. Mit Hilfe eines Aktionsprogramms sollen 60.000 Langzeitarbeitslose Halbtagsjobs in den Gemeinden finden, 30.000 Menschen dürfen sich ganztags weiterbilden. Und Arbeitgeber, die Arbeitslose für mindestens zwei Jahre einstellen, werden ein Jahr lang vom Staat subventioniert. Man muß kein Hellseher sein, um vorauszusagen, daß dieses Aktionsprogramm ebenso wie John Majors Programm aus dem vergangenen Jahr ergebnislos verpuffen wird. Ralf Sotschek