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Polen privatisiert vorerst nicht

■ Regierung mit Programm im Parlament gescheitert

Warschau (taz) — Polens Regierung hat schon am Donnerstag eine schwere Niederlage im Parlament hinnehmen müssen. Mit knapper Mehrheit von 203 gegen 181 Stimmen und 9 Enthaltungen lehnte der Sejm einen Gesetzentwurf zur Privatisierung ab, der nach tschechoslovakischem Vorbild eine allgemeine Privatisierung zum Vorteil aller Bürger vorsah. Nach dem Entwurf sollten alle Polen mitsamt ihren Kindern sogenannte Privatisierungsbons an Treuhandgesellschaften erhalten, die wiederum rund 600 polnische Staatsbetriebe privatisieren und verwalten sollten. Das Volumen der Privatisierung soll rund 10 Milliarden Dollar betragen.

Mit dem Programm hoffte die Regierung, einerseits das Management der Staatsbetriebe zu verbessern und andererseits das Risiko der Privatisierung für die Bürger zu streuen. Die Bürgerinnen und Bürger hätten für einen symbolischen Betrag von rund 17 Mark ihre Anteile erhalten. Zu einem späteren Zeitpunkt hätten die Bürger ihre Anteile an den Treuhandgesellschaften auch in direkte Anteile an Betrieben eintauschen können. Vorgesehen war, daß in diesem Stadium etwa 60 Prozent der Anteile den Holdinggesellschaften, 10 Prozent den im Betrieb Beschäftigten und 30 Prozent dem Staat gehören sollten. Mit dem Gesetz wollte die Regierung Suchocka die Privatisierung entscheidend beschleunigen. Wäre es angenommen worden, wären nicht nur Polens Bürger zu Mitbesitzern der Staatsbetriebe geworden, sondern auf Druck der Christnationalen auch deren Kinder.

Der Gesetzentwurf scheiterte allerdings an der geschlossenen Ablehnung der rechten und linken Opposition und an insgesamt 12 Gegenstimmen von Koalitionsabgeordneten, die die Fraktionsdisziplin brachen. 9 der 12 Verweigerer entstammen den Christnationalen, die befürchten, daß die Privatisierung zu einem Ausverkauf an ausländisches Kapital führen könnte. Solche Befürchtungen hatten zuvor bereits dazu geführt, daß der Sejm einen Paragraphen in den Gesetzentwurf aufnahm, der es Ausländern verboten hätte, sich in die Aufsichtsräte der Treuhandgesellschaften wählen zu lassen. Auch Parlamentspräsident Wieslaw Chrzanowski und Verteidigungsminister Janusz Onyszkiewicz stimmten gegen die Vorlage – aus Versehen, wie es hies.

Privatisierungsminister Janusz Lewandowski erklärte nach der Abstimmung, die Ablehnung des Projekts bedeute ein „Abbremsen der Reformen“ und werde zu einem Rückgang des Vertrauens des Auslands in Polen führen. Premierministerin Hanna Suchocka empfand das Verdikt des Sejm als „ernstes Zeichen, daß wir den Reformweg verlassen.“ Die Regierung kündigte allerdings an, auf das vom Parlament abgesegnete Privatisierungsprogramm nicht verzichten zu wollen. Die Liberalen, die in der Regierung den Privatisierungsminister stellen, verlangten eine sofortige Sitzung der Regierung. Da einige Minister im Ausland sind, kam es dazu am Freitag nicht mehr. In Warschau wird damit gerechnet, daß sich dafür die Vertreter der in der Koalition vertretenen Parteien zu einer Dringlichkeitssitzung treffen. Die „Allgemeine Privatisierung“ ist eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziele der Regierung Suchocka. Klaus Bachmann

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