Die kleine Tierschau

■ Von Jobst Plog als armem Seehund beim Balanceakt, mahnenden Sparschweinen oder: Eine Kursbestimmung des Ersten vor dem großen Intendantentreffen

„Der Ball ist groß, der Seehund klein, und das Publikum hält den Atem an, gespannt, ob alles gut geht.“ Mit einem Seehund, der die Zoobesucher durch Balanceakte mit einem Ball bei Laune hält, verglich der Hamburger Intendant Ernst Schnabel Anfang der fünfziger Jahre die Arbeit eines Anstaltschefs im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Rundfunkintendant unterscheide sich von dem Seehund nur in drei Punkten: Der Ball sei größer, das Publikum halte den Atem nicht an und bewerfe den Jongleur gar noch mit kleinen Steinen.

Jobst Plog heißt heute der Intendant des Norddeutschen Rundfunks. Mit der mitleiderregenden Seehundgeschichte führte er sich Anfang Februar bei seinen Intendanten-Kollegen als neuer ARD- Vorsitzender ein. Schweres Wetter prophezeite der NDR-Chef damals dem ganzen Anstaltsverbund und gab die Marschrichtung aus: „Wir wollen und wir können sparen.“

Pauschal gehen solcherlei grundlegende Erkenntnisse natürlich leicht von den Lippen. Gerade einem wie Jobst Plog, der in Umgangsart und Ausdrucksweise einem Politiker schon recht nahegekommen ist. Analog zu den Bonner Ringkämpfern hat der Hamburger Senderchef denn auch seine Kollegen zu einer Klausurtagung gebeten. Am Sonntag soll im beschaulichen Baden-Baden im kleinen Intendantenkreis alles auf den Tisch kommen, was die „Zukunft der ARD“ bestimmt.

Mieser Haushalt ohne Reklamekuchen

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten wähnen das duale System aus dem Takt gekommen, sehen die heikle Balance zwischen öffentlich-rechtlicher Grundversorgung und werbewirtschaftlich finanziertem Kommerzfunk nachhaltig gestört. ARD und ZDF müssen sich inzwischen mit jeweils einem Fünftel der gesamtdeutschen Zuschauergemeinde begnügen. Folge: Die Branche boomt mit Werbeumsätzen von fast sieben Milliarden Mark jährlich, doch die öffentlich- rechtlichen Anstalten bekommen immer kleinere Stücke vom großen großen Reklamekuchen.

Das ZDF prognostiziert für dieses Jahr einen Rückgang der Werbeeinnahmen um satte 160 Millionen Mark. Bei der ARD rechnet man mit rund 300 Millionen Mark Verlust. Dazu beklagen die Programmverantwortlichen horrende Kostensteigerungen durch den Wettbewerb mit den kapitalkräftigen Privatsendern. Doch finanzielle Unterstützung in Form einer Gebührenerhöhung winkt ARD und ZDF frühestens 1996. Sparmaßnahmen werden nun unvermeidlich.

Die Baden-Badener Intendantenklausur soll dafür Grundlinien abstecken. Rationalisierungs- und Sparvorschläge sollen zumindest angesprochen werden. Über die Notwendigkeit der über 50 Hörfunkprogramme wird geredet, über eine weitgehende Zusammenlegung der Dritten Fernsehprogramme, über verstärkte Kooperationen der Landesrundfunkanstalten generell.

Vorschläge, auch aus den eigenen Reihen, gibt es zuhauf. Doch bei der Reaktion auf innovatives Gedankengut macht sich ARD-intern ein immer rauher werdender Ton breit. Gegenseitige Beschuldigungen und Attacken überlagern häufig die dringliche Sachdiskussion. Bis zum Beweis des Gegenteils wird dem Vorschlagenden erstmal vorgeworfen, doch nur auf den Vorteil der eigenen Anstalt bedacht zu sein und immer den anderen das mahnende Sparschwein vorzuhalten.

Mit verläßlicher Regelmäßigkeit sitzt Günter Struve im Sperrfeuer zwischen den Intendantenstühlen. Als ARD-Programmdirektor muß der unkonventionelle Ex-WDR-Fernsehchef heute keine regionale Rücksicht mehr wahren. Er hätte das ARD-Programm gerne stärker aus einem Guß. Auch die Dritten als Gemeinschaftsveranstaltung, nur noch mit regionalen Fenstern, hatte er deshalb vorgeschlagen. Und jetzt will Struve sogar der Regionalinformation im Ersten an den Kragen. Weil der ARD-Vorabend trotz Harmonisierung für die Werbewirtschaft zu unattraktiv ist, sollen die letzten individuellen Informationsinseln der Landesrundfunkanstalten endgültig in die Dritten verbannt werden. In einem einheitlichen Vorabendprogramm will Struve – nach Morgen- und Mittagsmagazin – ein ARD- Abendmagazin etablieren. Die Federführung soll bei der Dreiländeranstalt MDR liegen.

Ein Schwerpunkt der Klausur ist das Satellitenengagement der ARD. Ab Herbst wird das Erste auch über den Satelliten ASTRA zu empfangen sein. Mindestens 30 Millionen Mark jährlich werden für Übertragungstechnik und Rechtekosten anfallen. Vor diesem Hintergrund sei die geplante Umwandlung des Kulturprogramms Eins Plus in einen „Deutschen Informationskanal“ (DIKA) nicht machbar, unken die meisten kleinen und mittleren ARD-Anstalten, die dem Vorhaben keine Chancen mehr einräumen. Erst recht, seit das ZDF einer möglichen Beteiligung im Januar eine endgültige Absage erteilt hat. Doch Jobst Plog hält an seinem Lieblingsprojekt eisern fest, auch wenn die über den Eins-Plus- Haushalt hinausgehenden Kosten auf 10 bis 60 Millionen Mark pro Jahr geschätzt werden. „Man muß dann ehrlicherweise in den Bestand hineinprüfen und sehen, ob man an anderer Stelle Mittel sparen kann“, meint der ARD-Vorsitzende trotzig.

Doch nicht nur nach Sinn oder Unsinn von DIKA fragen einige Intendanten, sie kritisieren auch die imagewirksame Satellitenverbreitung von Bayern3, West3 und Nord3. Die zuständigen Anstalten sehen diese Ausstrahlung ihrer Dritten aber als Teil der Grundversorgung. Zu groß sei die Zahl der Satellitenhaushalte im Sendegebiet, argumentieren sie und weisen das Gemecker der kleinen Anstaltsvettern pampig zurück.

Selbstbeschränkung und verstärkte öffentlich-rechtliche Kooperation verlangt indes ZDF-Intendant Stolte und legte den ARD- Kollegen für ihre Klausur eine 13-Punkte-Liste zur verstärkten Zusammenarbeit vor. Die ARD solle Eins Plus auflösen und sich an 3Sat beteiligen, schreibt Stolte, für den das Mehrfach-Engagement der ARD-Anstalten (im Ersten, den Dritten und via Satellit) übertrieben ist. Die Satellitenabstrahlung der Dritten Programme hält der Chefmainzer für überflüssig. Schließlich müsse man gegenüber Ministerpräsidenten und Gebührenzahler ein „deutliches Zeichen der Bemühungen um Aufgabenneuordnung und Kostenreduzierung“ setzen. Bei kleineren Auslandsstudios kann sich der ZDF- Chef eine Zusammenarbeit mit den Systemkollegen vorstellen, nach dem Regierungsumzug nach Berlin ist für das ZDF sogar ein gemeinsames Bonner Studio denkbar. Ein ARD/ZDF-Nachtprogramm, gemeinsame Gesellschaften für Sportrechte und Übertragungstechnik schlägt Dieter Stolte zudem vor.

Auf dem Altar der Politik muß geopfert werden

Spätestens hier wird dann deutlich: Bei den Zukunfts- und Sparfragen der ARD-Klausurtagung geht es nicht um Rechenbeispiele und Zahlenschieberei, sondern um regionale Interessen, um liebgewordene Programme und Institutionen. Und es geht um politische Rahmenbedigungen. Denn die Politik in Gestalt von Ministerpräsidenten und Länderparlamenten entscheidet über Gebührenerhöhungen. Manfred Buchwald, Intendant des Saarländischen Rundfunks, sieht ARD und ZDF dabei oft in „dubiose Pflichten“ genommen und geißelt Technologieprojekte wie das hochauflösende Fernsehen als „millionenschwere Unternehmungen, die auf dem Altar der Politik geopfert werden müssen, damit von dort der Segen der Gebührenerhöhung an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erteilt“ werde.

Buchwald hält es daher für „dringend geboten, die Gebührenfestsetzung parteipolitisch zu neutralisieren“. Er würde die Gebühren gerne dynamisch steigen sehen, kann sich zur Bemessung die Zusammenstellung eines „medienspezifischen Warenkorbes vorstellen. Die Festsetzung wäre damit frei von der jetzt notwendigen politischen Entscheidung durch die Länder. Die sollten zur Gewährleistung der öffentlich-rechtlichen Entwicklungsgarantie aber noch über „Sonderzuschläge“, beispielsweise für technologische Neuerungen, entscheiden dürfen. Gäbe es einen solchen Finanzierungsrahmen, so Buchwald, „dann brauchen wir die Werbung nicht mehr“. Das ist zwar eine nette Vorstellung (von der auch mancher von Buchwalds ARD-Kollegen träumen dürfte), aber medienpolitische Zukunftsmusik.

Ohne Kooperation verloren

ARD und ZDF stecken derzeit in einem Dilemma zwischen Politik, kritischer Öffentlichkeit, Gebührenzahler, Werbeinteressen und Sparzwängen. Das Programm muß einerseits massenattraktiv und reklametauglich sein, andererseits anspruchsvoll im Sinne des gesetzlich festgeschriebenen öffentlich- rechtlichen Auftrags sein. Die miserable Haushaltslage macht Sparen notwendig, darf sich aber so wenig wie möglich auf das Programmangebot auswirken. Sonst müßte man sich bei der nächsten Gebührenrunde von der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlich- rechtlichen Rundfunks) unangenehme Fragen nach der Berechtigung von Erhöhungswünschen stellen lassen. Kooperation heißt wohl das Zauberwort in dieser verzwickten Situation. Über verstärkte Zusammenarbeit innerhalb der ARD und mit dem ZDF müssen die Intendanten sprechen, natürlich auch über die dann notwendige Einschränkung der eigenen Zuständigkeiten. Eingeschnappte Nörgelei ist dabei ebensowenig gefragt wie die kleinliche Verteidigung von Besitzständen. Die ARD-Anstalten werden sich angesichts der miesen Finanzlage zum Blick fürs Ganze zwingen müssen. Über die Vorschläge von Stolte, Struve, Buchwald und anderen sollten sie offen diskutieren und sie nicht schon vorab verwerfen, nur weil sie von vermeintlichen Konkurrenten kommen. Christoph Heinzle