Big Brother ist bei der Drogenfahndung dabei

■ In Rotterdam diskutierten Polizisten, Sozialarbeiter und Politiker über Drogen

Rotterdam (taz) – „Deutsche? Sind kaum welche da – aber das war wohl zu erwarten.“ Der niederländische Arzt hat richtig beobachtet – während mehr als 400 Drogenexperten aus über 40 Ländern in Rotterdam auf dem IV. Internationalen Kongreß zur Schadensbegrenzung durch Drogenpolitik diskutierten, hielt sich das deutsche Interesse in Grenzen: Denn in Deutschland ist Drogenfreiheit und Abstinenz immer noch oberstes Gebot. Eine wachsende Anzahl ausländischer Experten hingegen akzeptiert inzwischen Drogengebrauch als Realität, mit deren Folgen und Risiken sozial- und gesundheitspolitisch umgegangen werden muß. Methadon, Spritzentausch, Entkriminalisierung von Konsumenten, Legalisierung der Drogen sind in dieser Debatte nur einige Stichworte.

„Je mehr wir Menschen als Kriminelle oder als Monster ansehen, desto leichter ist es, Distanz zwischen ihnen und uns aufzubauen. Sie waren nie wie wir und wir werden nie wie sie sein“, charakterisierte der norwegische Kriminologe Nils Christie den Umgang mit Drogenkonsumenten. „Prinzipielle Ähnlichkeiten mit totalitären Staaten“ seien bei der derzeitigen Kontrollpolitik nicht zu übersehen. Ein Bild des totalen Überwachungsstaates lieferten die USA, in denen der vielpropagierte „War on Drugs“ unvermindert anhält. 1995, so hatte die Bush-Administration bereits vor fünf Jahren angekündigt, seien die Staaten drogenfrei. Der „Traum der totalen Kontrolle über die Bürger“ werde immer stärker, so Christie. Abhöraktionen und „home prison“ seien inzwischen an der Tagesordnung. In einschlägigen Magazinen werde für technische Verbesserung geworben: Das altbekannte „Heimgefängnis“ mit Telefon- und Minisenderüberwachung, das Menschen bis auf wenige hundert Meter Aktionsradius ans Haus fesselt (ansonsten wird bei der Polizei Alarm ausgelöst), sei perfektioniert worden: Per Teleüberwachung können zu Hause-Gefangene aufgefordert werden, ins Röhrchen zu blasen. Auch das Denunziantentum nehme zu. Eine „Drug-Hot-Line“ in Boston verzeichne jeden Tag im Schnitt zwölf Anrufer, die ihre engsten Familienangehörigen wegen Drogenmißbrauchs anzeigten.

In den USA hat sich die Anzahl der Gefangenen in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Von 1,3 Millionen Inhaftierten sei etwa ein Viertel wegen Drogendelikten im Gefängnis, erklärte Alexander Shulgin, Wissenschaftler aus Kalifornien. Doch nicht nur in den USA, sondern in allen industrialisierten Staaten werde staatliche Kontrolle und Zwang immer stärker, so Christie. „Es sind nicht die Drogen, sondern der Krieg der Drogen, der den größten Schaden anrichtet.“

Ihren immer noch einzigartig liberalen Weg in der Drogenpolitik verteidigten in Rotterdam wieder einmal die Niederlande. „Die Wahlmöglichkeiten der Drogengebraucher verbessern“, wollte der Rotterdamer Polizeidirektor Ron Hessing. Für Experimente wie höhere Methadon-Dosen oder in Ausnahmefällen Heroinvergabe sei die niederländische Polizei offen. Desweiteren werde immer deutlicher, daß der niederländische Versuch, Konsum von weichen Drogen wie Haschisch oder Marihuana zu erlauben, aber Handel offiziell zu verbieten, eine wachsende Spannung erzeuge. Im Falle einer vollständigen Legalisierung wäre es hingegen dem Staat möglich, so Hessing, nicht nur Steuern einzunehmen, sondern den Drogenmarkt tatsächlich zu regulieren.

„Vielleicht“, so Hessing, „wäre das auch der erste Schritt, in der fernen Zukunft alle Drogen zu legalisieren.“ Dies würde auch zu einer besseren Informationspolitik beitragen. „Die Kids wollen wissen, was in den Tabletten ist, keine Sozialberatung“, berichtete Ian Wardle von einer Beratungsstelle in Manchester. Angesichts der Tatsache, daß in Großbritannien jeder Dritte mit 15 Jahren schon einmal mit illegalen Drogen experimentiert habe, wachse das Unwissen der Professionellen über sogenannte „Dance-Drugs“ wie Ecstasy und LSD und all ihre Abwandlungen ständig. „Wir wissen nicht, was eine sichere Dosis ist, haben keine Ahnung, wie viele von denen, die sie nehmen, nie Probleme mit Drogen bekommen.“ Möglicherweise, so Wardle, könnten sich die Kids auch am besten selber helfen. „Die Unfähigkeit der Erwachsenen, mit ihnen umzugehen, ist enorm.“

Deutlich wurde bei dem Kongreß eine wachsende Bereitschaft, mit den Konsumenten zusammenzuarbeiten. Mit Blick auf die Organisatoren forderte John Mordaunt, langjähriger Drogenkonsument aus England, am Ende der Konferenz: „Das war ein guter Anfang. Vergeßt uns bloß nicht. Wir sind letztendlich die Konsumenten Eurer Dienste.“ Jeannette Goddar