Ein Beispiel deutscher Gründlichkeit

Bosnische Flüchtlingsfrau wird seit einem Jahr in den Mühlen der deutschen Bürokratie zermahlen/ Denn: Wer einmal einen Asylantrag stellt, muß ihn bis zum Ende durchstehen  ■ Aus Berlin Karin Flothmann

Nach den traumatischen Erlebnissen zu Kriegsbeginn folgte für sie das Trauma der deutschen Bürokratie. Als Flüchtling aus Bosnien-Herzegowina kam Senada Husić* zwei Wochen nach Kriegsausbruch im April letzten Jahres nach Deutschland. Den Massakern und systematischen Vergewaltigungen konnte die bosnische Muslimanin entkommen. In Berlin begann für sie jedoch eine Odyssee durch deutsche Amtsstuben, die mittlerweile bald ein Jahr währt.

Zunächst sah alles ganz einfach aus. Auf Umwegen nach Berlin gelangt, sucht Senada Husić Zuflucht bei ihrem Bruder, der schon seit zwanzig Jahren hier lebt. Wie viele ihrer Landsleute geht die 30jährige davon aus, die sicherste Möglichkeit, bleiben zu können, sei ein Asylantrag. Doch damit beginnt das Desaster. Zwei Tage bevor sich das Bundesinnenministerium in Abstimmung mit den Innenministern der Länder im Mai 92 darauf einigte, daß Kriegsflüchtlinge aus Bosnien in Deutschland geduldet werden, und damit implizit ein absoluter Abschiebestopp ausgesprochen war, gerät Senada Husić in die Warteschleife des Asylverfahrens. Ein nahezu aussichtsloses Unterfangen: denn von fast 3.000 bosnischen Asylbewerbern in den ersten beiden Monaten dieses Jahres wurden ganze sechs anerkannt.

Wer jedoch einmal im Asylverfahren steckt, der muß es bis zum Ende durchstehen. Im Juni letzten Jahres wird Senada Husić der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber im bayerischen Zirndorf zugewiesen. „Unverzüglich“ soll sie sich in die dortige Sammelunterkunft begeben, wo mittlerweile auch ihr Paß gelandet ist, um dort das Ende des Asylverfahrens abzuwarten. Als Senada Husić daraufhin bei der Berliner Ausländerbehörde vorspricht, wird sie vor zwei Alternativen gestellt: entweder Zirndorf oder die Vorlage eines Flugtickets gen Heimat und die sofortige Rückreise nach Bosnien- Herzegowina. Von Abschiebestopp und Duldung haben die Beamten noch nie etwas gehört.

Die zierliche Frau zieht ihren Asylantrag daraufhin sofort zurück. „Wenn Sie die Vorlage einer Flugkarte von mir verlangen, so haben Sie vermutlich nicht gewußt, daß ein Flug nach Bosnien (wegen des Krieges) nicht möglich ist“, heißt es in ihrem Brief.

Postwendend erhält Senada Husić von der Berliner Ausländerbehörde eine Bescheinigung über die Rücknahme ihres Asylantrags und wird gleichzeitig erneut aufgefordert, sich sofort nach Zirndorf zu begeben. Die Bosnierin, die kein Deutsch spricht, vertraut ihrem Dolmetscher. Der erklärt, sie könne sich mit dem Papier frei bewegen. Senada Husić hält es für einen Paßersatz und wartet darauf, ihren richtigen Ausweis zurückzubekommen. Als sie nach drei Monaten vorsorglich noch einmal beim Ausländeramt vorspricht, meint man(n) dort lapidar, sie müsse sich ihren Paß schon selbst in Zirndorf abholen.

Nachdem die bayerische Behörde im Dezember 92 mitteilt, der Ausweis von Senada Husić läge bei ihr nicht vor, spricht die Bosnierin erneut bei der Berliner Ausländerbehörde vor. Die dortigen Beamten machen kurzen Prozeß: Senada Husić, die für die Berliner immer noch im Asylverfahren steckt, wird verhaftet, nach sechsstündigem Zellenaufenthalt ins Flugzeug gesetzt und nach Nürnberg „verschubt“. Wenig später teilen dortige Polizeibeamte der verdatterten Frau mit, sie habe in Bayern nichts zu suchen, ihr Paß befände sich doch in Berlin.

Erst jetzt stellt Senada Husićs Anwältin einen Antrag auf Duldung. Entsprechende Aufenthaltsduldungen für bosnische Flüchtlinge sind in Berlin absolut kein Problem, meinen versierte Rechtsberater. Nicht so im Falle Senada Husićs. Anfang letzten Monats teilt die Berliner Behörde mit, sie sei Asylbewerberin und damit dem Lande Bayern zugeteilt. Ihr Aufenthalt in Berlin sei „gesetzeswidrig“. In Anbetracht des anhängigen Asylverfahrens erübrige sich außerdem ein Duldungsantrag.

Auch die Zirndorfer fühlen sich nicht zuständig. Aus unerfindlichen Gründen taucht der Ausweis der Bosnierin im bayerischen Amt doch auf und wird ihr Ende Februar persönlich ausgehändigt. Die bayerische Empfehlung: Senada Husić möge nach Berlin zurückfahren, dort könne sie eine Duldung erhalten.

Bis heute findet die Odyssee durch deutsche Amtsstuben kein Ende. Als Senada Husić im März im Berliner Ausländeramt vorspricht, nimmt man(n) ihr den Paß sofort wieder ab. Auf einer hingekritzelten Bescheinigung wird sie „zum wiederholten Male“ aufgefordert, sich „unverzüglich“ im Sammellager von Zirndorf einzufinden.

*Name von der Redaktion geändert