Ein Streit um Schulden und Aktien

Die Tschechische Republik will von Slowaken erworbene Aktien zurückhalten/ Regierung in Bratislava soll zuerst Schulden zurückzahlen/ Slowakische Regierung droht mit Handelskrieg  ■ Aus Prag Sabine Herre

Länger scheint er es einfach nicht mehr ausgehalten zu haben. Václav Klaus, Ministerpräsident der Tschechischen Republik, wollte es diesen Slowaken endlich heimzahlen. Hatten die führenden Politiker des seit fast drei Monaten selbständigen Staates ihn doch immer wieder gezwungen, auf ihre Forderungen einzugehen. Und dann, am vergangenen Mittwoch, dies: Da beschloß die tschechische Regierung unter Vorsitz des geistigen Vaters der „Kuponprivatisierung“, einen Teil der Ergebnisse dieser Privatisierungsreform einfach nicht umzusetzen. Diejenigen Bürger der Slowakischen Republik, die noch während der Existenz der ČSFR Aktien tschechischer Betriebe erworben hatten, sollen diesen nun — zumindest vorerst — nicht ausgehändigt bekommen. Schließlich, so die trotzig vorgetragenen Erklärung, würde die slowakische Regierung immer noch Probleme bei den Verhandlungen über die Aufteilung des föderalen Besitzes — vielmehr der föderalen Schulden — machen. Und diese entsprächen ziemlich genau dem nominellen Wert der zurückgehaltenen Aktien. Im Spiel sind 24,7 Milliarden Kronen, cirka 1,5 Milliarden DM. Durch die Zurückhaltung der Aktien soll die Slowakei gezwungen werden, wenigstens einen Teil zurückzuzahlen.

In Bratislava ließ man sich von den Prager Drohungen jedoch nicht einschüchtern. Der slowakische Premier Vladimir Mečiar ging zum Angriff über und warf der Tschechischen Republik die „Verstaatlichung von Privateigentum“ vor. Werde die Entscheidung nicht zurückgenommen, drohe ein tschecho-slowakischer Handelskrieg. Bratislava werde Prag dann den Öl- und Gashahn zudrehen.

Gleichzeitig kam Mečiar die tschechische Entscheidung nicht ungelegen. Sie half ihm über eine Menge anderer Probleme hinweg, die das Ansehen des „starken Mannes“ der Slowakei in letzter Zeit stark ramponiert hatten. Die Forderung des Internationalen Währungsfonds nach Abwertung der slowakischen Krone, der ständige Rückgang der Devisenreserven, das Auseinanderbrechen der slowakischen Regierungskoalition, das alles ist nun in den Hintergrund getreten. Mečiars „Bewegung für eine demokratische Slowakei“, in der sich gerade eine Opposition gegen den „autoritären Führungsstil“ des Ministerpräsidenten entwickelte, hat die Reihen wieder geschlossen. Der schärfste Kritiker des Premier, Außenminister Milan Knažko, wurde entlassen und durch den letzten tschechoslowakischen Außenminister Jozef Moravčik ersetzt.

Nicht zuletzt wurde durch die Prager Entscheidung und ihre Folgen auch der „national-kommunistische Flügel“ der HZDS gestärkt. Die Diskussionen über die Berufung von Imrich Andrejčak zum slowakischen Verteidignungsminister verstummten. Vergessen war, daß der General die „samtene Revolution“ des Herbstes 1989 mit dem Einsatz seiner Panzer beenden wollte.

Doch auch in Prag stieß die Entscheidung der Tschechischen Regierung auf scharfe Kritik. Während die konservative Presse sie „trotz Bedenken“ veteidigte, ließ einer der Verantwortlichen seinem Ärger freien Lauf. Tomáš Ježek, zuständig für die reibungslose Durchführung der Privatisierung der großen Staatsbetriebe: „Es ist rechtlich nicht möglich, den slowakischen Aktienkäufern ihre Anteile nicht auszuhändigen. Wenn wir das Recht in diesem Fall brechen, bezahlen wir das mit einem wachsenden Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit unseres Staates. Jeder ausländische Investor wird sagen: Heute die Slowaken und morgen wir“.

Entscheidend verlangsamt wird nach Ansicht des früheren Privatisierungsministers jedoch auch die Privatisierung selbst. Allein für die „Aussortierung“ einer bisher unbekannten Anzahl slowakischer Aktienhalter würden die Computer zwei bis drei Monate brauchen. Die ersten Aktionärsversammlungen, bei denen über die Zukunft der jeweiligen Betriebe entschieden werden sollte, würde sich nochmals verzögern und die bereits privatisierten Betriebe weiterhin vom Staat geleitet werden.

Hinzu kommt etwas anderes: Da die Slowaken vor allem in die besten tschechischen Betriebe investierten, wird die tschechische Regierung durch die Zurückhaltung dieser Aktien weiterhin entscheidenden Einfluß auf einen Teil der tschechischen Industrie haben. Dies betrifft in erster Linie den Škoda-Konzern in Pilsen. Hier haben die Slowaken Anspruch auf 30 Prozent der Aktien.

Welche Folgen hat die Prager Drohung nun aber für die tschecho-slowakischen Beziehungen? Zunächst einmal ist Front derjenigen, die die „Prager Judase“ für die slowakischen Probleme verantwortlich machen. Denn nicht nur die Partei Mečiars, sondern auch die Opposition kritisierte die tschechische Regierung und wollte es Prag gar mit den gleichen Mittel heimzahlen: Denjenigen Tschechen, die slowakische Aktien gekauft haben, sollten diese ebenfalls nicht ausgehändigt werden.

Zudem trifft die Prager Entscheidung gerade die proföderalen Slowaken, die in den langen Monaten des Teilungsprozesses der ČSFR stets hofften, daß sich diese doch noch verhindern ließe und daher nicht nur Klaus wählten, sondern auch in tschechische Betriebe investierten.

Neuen Zündstoff erhält dadurch aber auch die Diskussion über die zukünftige außenpolitische Orientierung der Slowakei. So wird Mečiar in der tschechischen Presse seit langem vorgeworfen, daß er mehr nach Osten als nach Westen orientiert sei und im Gegensatz zu dem jetzt abberufenen Außenminister Knažko nicht an einer Integration in die EG interessiert sei. Bisher hat der Premier diese Interpretationen jedoch stets zurückgewiesen und statt dessen sein Interesse an der Zusammenarbeit mit den westorientierten Staaten Polen und Ungarn deutlich gemacht.

Im Gegensatz dazu ist es Prag, das seit der Teilung der ČSFR heftig an einem Eisernen Vorhang für die slowakisch-tschechische Grenze gewoben hat. Früher als erwartet lösten die Tschechen die Währungsunion auf, immer stärker wird der Druck, die als „offen“ geplante Grenze möglichst undurchlässig zu machen. Sollte die tschechische Regierung die slowakischen Aktien nun tatsächlich zurückhalten, würde ein weiterer Abschnitt der tschecho-slowakischen Beziehungen beendet. Was bleibt, ist die Zollunion.