Hart am Wind

... des Kitsches: Der fliegende Holländer Herman van Veen landet in Berlin an  ■ Von Klaudia Brunst

„Weißt du, wie es war, als wir vor einem Jahr, das Büchlein fanden, tausend weise Sprüche...“, singt mir meine Begleitung leise ins Ohr. „Mir fällt einer ein“, raune ich zurück, peinlich darauf bedacht, daß uns ja niemand hört, „der paßt dort gut hinein: Mit der Zeit geht alles in die Brüche!“

Es ist Freitag abend, wir sind auf dem Weg zu Herman van Veen, und ein bißchen mulmig ist uns schon zumute. Was wohl aus unserem einstigen Helden geworden ist, diesem poetischen Bänkelbarden, der einst zu unserer postpubertären Polit-Sozialisation gehörte wie der Anti-AKW-Sticker und die selbstgestrickten Ringelsocken. Hat er am Ende sein Charisma ebenso verloren wie der mittlerweile schrecklich anbiederische Klaus Hoffmann, wie der immer noch bockgeile Konstantin Wecker oder der schon lange plattdütsch mutierte Hannes Wader? Etwas unruhig sitzen wir auf unseren Stühlen, Idole sieht man nicht so gerne stürzen.

Als er dann aber die Bühne betritt, ein schwarzer Hut über dem schütteren Haar, ein umgestülpter Regenschirm über dem schwarzen Hut und ein imaginärer Heiligenschein über dem schwarzen Regenschirm, ist die Angst bald verflogen. Dieser Mann da oben auf der Bühne ist immer noch der kleine Fratz auf dem Kinderrad, und seine Tournee ist einmal mehr eine tour d‘élégance. Besonders die Leichtigkeit, mit der Herman van Veen die vielen möglichen Peinlichkeiten des Showgeschäfts umgeht, ist bemerkenswert. Zugegeben, auch er hat ein Lied zu Rostock im Repertoire, aber anders als seine deutschen Sangeskollegen brüstet er sich nicht so schrecklich besserwisserisch damit. Geht ab, noch bevor der letzte Ton verklungen ist, einen Mülleimer über den Kopf gestülpt, um der eben noch so kunstvoll aufgebauten Theatralik die Spitze zu nehmen. Doch, natürlich hat auch er ein kritisches Deutschland-Lied gemacht, aber er bringt es gleich zu Anfang ganz schnell hinter sich. Ein bißchen Zeitbezug muß eben sein, aber das lyrische Spiel mit den Konfettischnipseln ist ihm dann doch allemal lieber.

Und so zaubert er, in rotes Licht getaucht, mal ein Kaninchen, mal eine Genever-Flasche aus dem Hut, spielt clownesk an seiner Geige herum oder markiert ganz privatissimo ein rührseliges Telefonat mit seinem kleinen Sohn. Dieser fliegende Holländer segelt immer hart am Wind des Kitsches, verzaubert mit seinen lyrischen Clownerien die Menschen unten im Saal. Im sanften Kaas-Kopp- Timbre öffnet er heimtückisch unsere Kinderseelen, lullt uns ein im trügerischen Wohlklang der Poesie. Aber genau dann, wenn es gar zu rosarot zu werden droht, schießen wieder diese drastischen Wendungen dazwischen, für die wir ihn schon früher so schätzten. Da trägt die Frau, die eben noch so unbesorgt daherging, „seit Monaten schon ein Krebsgeschwür“, und auch sonst ist die Welt nicht besonders in Ordnung.

Wenn einer je das Leid ins Ausgehkleid der Poesie stecken konnte, dann vielleicht dieser Herman van Veen, dem dankenswerterweise nichts programmatisch Errettendes dazu einfällt, daß auf dieser Welt alle zwei Sekunden ein Baby geboren wird. „Auch ein büschen erschreck'nd“ findet er das, schaut ein letztes Mal mit seinen traurigen Augen ins Scheinwerferlicht und nimmt dann nach drei arbeitsreichen Stunden endgültig seinen schweißnassen Hut.

„Weißt du, wie wir früher abends oft zum Baden gingen...“, flüstert meine Freundin mir im Rausgehen ins Ohr. „Ja“, raune ich zurück, „schwarz war der See und kein Mensch in der Näh'...“. Wie gut, daß nicht alle Helden sterben müssen.

23.–27.3. und 30.3.–3.4. Berlin; 25./26.5. Potsdam; 28. und 30.5. Frankfurt