Portugals KP im „heiligen Krieg gegen Ketzer“

■ Auch nach dem Rücktritt von Altstalinist Cunhal ist für Abweichler kein Platz

Jedes Jahr am 25. April hängt Dona Irene die portugiesische Fahne aus dem Fenster. Zur Erinnerung an jenen Tag im Jahr 1974, als die rechte Diktatur in Portugal vom Militär unter Führung junger Offiziere gestürzt wurde. Der Jahrestag dieser Revolution ist ein Feiertag. Für Dona Irene der höchste.

Sie wohnt in der Madragoa, dem alten Fischerviertel Lissabons. Dort sind die Straßen so schmal, daß ihre Nachbarin von gegenüber fast das grün-rote Fahnentuch vor Dona Irenes Fenster erreichen kann, wenn sie den Arm weit ausstreckt. Dona Irene ist 71 Jahre alt. Ihr Haar ist schlohweiß. Ihr Rock und ihr Pullover sind schwarz. Die traditionelle Kleidung der alten Frauen in Portugal.

Dona Irene ist Mitglied der Kommunistischen Partei, der Partido Communista Português (PCP). Schon immer. Auch in den gefährlichen Zeiten des faschistischen Diktators António de Oliveira Salazar. Und wenn sie von der PCP spricht, sagt sie meu partido – „meine Partei“.

Die ganze Familie ist Mitglied der PCP. Ein Neffe Dona Irenes trägt den Vornamen Lenin, ein anderer heißt Stalin, eine Nichte Liberdade. In den Monaten nach dem Spanischen Bürgerkrieg versteckte die Familie Flüchtlinge aus dem Nachbarland, die nach der Niederlage der Republikaner auf der Flucht vor Spaniens Diktator Franco in Lissabon auf eine Schiffspassage nach Südamerika warteten.

Doch von der internationalen Solidarität, dem Internationalismus, der einst zu den Idealen des Kommunismus gehörte, will die PCP heute – nach dem Fall des sowjetischen Vorbildes – nichts mehr wissen. „Wir sind die Kommunistische Partei Portugals und kämpfen für die Freiheit in Portugal“, sagt Dona Irene. Um die einstigen Bruderparteien in Osteuropa brauche sie sich nicht mehr zu kümmern, denn sie hätten sich vom Kommunismus entfernt.

Das war auch immer die Linie des greisen orthodoxen PCP-Führers Álvaro Cunhal. Für „Abweichler“ gab es unter seiner Führung keinen Platz. Als er im Sommer 1991 selbst den Putschversuch gegen Gorbatschow in Moskau rechtfertigte, duldete er keinen innerparteilichen Widerspruch. Die beiden Parlamentsabgeordneten José Magalhães und Jorge Lemos sowie der Gewerkschafter José Luis Judas verließen daraufhin mit lautem Türknallen die Partei. Der Europaabgeordnete Baros Moura und zwei weitere führende PCP- Mitglieder wurden als „Fraktionisten“ ausgeschlossen. Der 79jährige Cunhal trat Anfang Dezember von seinem Amt als Generalsekretär der Partei zurück. Doch ihren Kurs bestimmt er weiterhin mit – als Präsident des eigens für ihn geschaffenen Nationalrats. Der neue PCP-Generalsekretär Carlos Carvalhas ist nun seit fast 100 Tagen im Amt. Und auch unter seiner Führung machen die Kommunisten Schlagzeilen mit Parteiaustritten und Repressalien gegen Dissidenten. Diesmal traf es José Luis Judas, zwar nicht mehr PCP- Mitglied, aber weiter in Vorstand und Präsidium des Gewerkschaftsdachverbands CGTP. Im mit 870.000 Mitgliedern größeren der beiden portugiesischen Dachverbände redet die PCP ein gewichtiges Wort mit. Der CGTP-Vorsitzende Manuel Carvalho da Silva sowie die Mehrzahl seiner Vorstandskollegen sind Kommunisten.

Judas mußte erleben, daß die Partei nicht so schnell vergißt. Obwohl demokratisch gewählt, wollten die kommunistischen Kollegen ihn nicht mehr am Vorstandstisch haben, und im Präsidium sollte er lediglich ohne Zuständigkeitsbereich verbleiben dürfen. Er sei als Kommunist in den Gewerkschaftsvorstand gewählt worden, argumentierten sie. Weil er die PCP verlassen habe, müsse er auch aus der Gewerkschaftsführung verschwinden. Judas zog sich daraufhin entnervt aus seinen Gewerkschaftsämtern zurück, gut ein Jahr nach seinem Austritt aus der PCP. „Für sie bin ich ein Ketzer. Und gegen Ketzer führen sie einen heiligen Krieg“, sagte er enttäuscht.

Aufgeschreckt durch das merkwürdige Verständnis des CGTP- Vorstandes von innergewerkschaftlicher Demokratie, verzichteten die Vertreter des Europäischen Gewerkschaftsbundes auf die Teilnahme am CGTP- Kongreß, der am ersten März-Wochenende in Lissabon stattfand. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund schickte keine Beobachterdelegation. Und wegen der „gemeinen und unanständigen Kampagne“ der PCP gegen Judas erklärte CGTP-Präsidiumsmitglied Rosa Marques ihren Austritt aus der Kommunistischen Partei. Doch Parteichef Carvalhas gibt sich von alldem ungerührt. In seiner Rede zum 72jährigen Bestehen der PCP erwähnte er die Affäre Judas mit keinem Wort.

Mit ihrer halsstarrigen Haltung hat die PCP viele WählerInnen vergrault. Bei der letzten Parlamentswahl im Oktober 1991 erreichte die Vereinigte Demokratische Koalition (CDU) – eine gemeinsame Liste von Kommunisten, Grünen sowie der Splitterpartei Demokratische Intervention (ID) – einen Stimmenanteil von 8,8 Prozent. Vier Jahre zuvor waren es noch 12,4 Prozent.

Bei den Kommunalwahlen im kommenden Dezember setzt die PCP wieder auf Bündnispolitik. So soll es in Lissabon eine Neuauflage der Koalition zwischen den Kommunisten und der Sozialistischen Partei (PS) geben. Gemeinsam wollen die beiden Parteien den einstigen PS-Chef Jorge Sampaio erneut auf den Stuhl des Bürgermeisters hieven. Theo Pischke