Größter Verlierer nicht angetreten

■ Alle hatten mit der Niederlage gerechnet, doch ihre Wucht verschlug selbst den Spitzenkandidaten der PS die Sprache

JedeR in Frankreich wußte, daß die Sozialisten diese Wahlen verlieren würden – auch die Verlierer in spe. Einzelne von ihnen suchten sich noch rechtzeitig eine persönliche Hängematte. Zum Beispiel Verteidigungsminister Pierre Joxe, der sich wenige Tage vor den Wahlen aus dem Regierungskabinett heraus auf die unkündbare Lebensstellung an der Spitze des Rechnungshofes versetzen ließ. Andere suchten nach neuen politischen Ufern. Zum Beispiel der „Hoffnungsträger“ der Partei und langjährige Aspirant auf die Staatspräsidentschaft Michel Rocard, der sich einen big bang für die Zeit nach den Wahlen ausdachte. Nach seinem Plan sollte sich die eigene Partei auflösen und zusammen mit Reformkräften aus dem Öko-Spektrum, liberalem Zentrum und KPF eine ganz neue politische Bewegung gründen.

Doch daß es so schlimm kommen würde, hatten selbst die größten Pessimisten nicht erwartet. Selbst dem redegewandten Rocard fiel zu seinem Abschneiden im Wahlkreis Conflans-Saint-Honorine bei Paris nicht mehr ein, als ein: „Ich bin traurig.“ Keine Rede mehr von big bang und anderen politischen Zukunftsprojekten.

Wo verloren wird, gibt es auch Gewinner. Zum Beispiel KP-Chef Georges Marchais, der bis heute Stalinist geblieben ist. Er gewann in seinem Wahlkreis 27 Prozent und hat eine reelle Chance bei der Stichwahl zu gewinnen. Neben einer diskreditierten Sozialistischen Partei, der als opportunistisch verschrieenen Öko-Partei „Géneration Ecologie“, die von einem ehemaligen Mitglied der sozialistischen Regierung (Brice Lalonde) kurz vor den letzten Regionalwahlen gegründet wurde und der fundamentalistischen Öko-Partei „Les Verts“, deren Chef (Antoine Waechter) sich als „weder links noch rechts“ charakterisiert, erschien die KPF vielen als letzte wählbare linke Gruppierung.

Der größte Wahlgewinner ist den meisten FranzösInnen zugleich der unangenehmste. Vergeblich haben sie versucht, die Front National und Jean-Marie Le Pen zu verdrängen. Am Sonntag abend konnte er sich als „dritte politische Kraft“ bezeichnen.

Der Name des größten Verlierers der Parlamentswahlen stand auf keiner Kandidatenliste. François Mitterrand, der vor 22 Jahren jene Partei gründete, die von den FranzösInnen auf den Müllhaufen der Geschichte geschickt wurde, steht für seine verbleibenden zwei Amtsjahre als Staatspräsident völlig allein. Der schwerkranke 76jährige Sozialist, der von der Verfassung mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet ist, hat es jetzt mit einem konservativen Senat, einer konservativen Nationalversammlung und einem konservativen Wahlvolk zu tun. Er kann diese Cohabitation – zu deutsch: Beiwohnung – mit dem politischen Feind annehmen oder vorzeitig zurücktreten.

Doch der Mann, der 1981 mit dem Versprechen eines „Bruchs mit dem Kapitalismus“ in den Elyséepalast einzog, klebt an der Macht. Das hat er immer wieder bewiesen. Zum Beispiel von 1986 bis 1988, als er schon einmal Präsident über einer konservativen Regierung war. Damals allerdings nannten die FranzösInnen ihren Staatspräsidenten noch Dieu – Gott – und die konservative Regierung war schwach. Dorothea Hahn