Boris Jelzin trinkt...

■ ...und die ARD streitet – aber die „Sonntagsshow“ kommt

Wenn auf der Presseeinladung vom Hessischen Rundfunk steht „Konferenzraum K 1“, dann bedeutet das: Hemd bügeln, es wird offiziell. Angesichts der Menge schmutziger Wäsche, die am Dienstag im Rahmen der Vorstellung der neuen ARD-Infotainment-Show „Sowieso – die Sonntagsshow“ erfrischenderweise gewaschen wurde, wäre mein ungebügeltes Hemd wahrlich nicht aufgefallen.

Alles begann damit, daß die ARD am späten Sonntagabend einen neuen Sendeplatz für „journalistische Unterhaltung“ einrichtete. Mit dieser Entscheidung setzte das Erste sich selbst in Zugzwang, diesen Sendeplatz mit irgend etwas füllen zu müssen, so daß die Dinge sich mit einer für die ARD ungewöhnlichen Dynamik überschlugen: Machen Sie uns eine Politshow, aber Sie haben nur drei Wochen Zeit, lautete die Bitte an Ex-BR-Redakteur Stephan Reichenberger. Da im Bayerischen Rundfunk gerade die Studios umgebaut wurden, ging Reichenberger zum Süddeutschen Rundfunk. Der dort produzierte Prototyp der „Sonntagsshow“ wurde ARD-intern ein voller Erfolg. Was zweifellos an der für die ARD ungewohnten Spontaneität der Durchführung liegt.

Moderiert von Hubertus Meyer-Burkhardt („How Much?“), ist „Sowieso“ eine spritzige Mixtur aus „Monthy Pythons Flying Circus“ und „Holgers Waschsalon“; Studiogäste, quirlige Moderation sowie gutgemachte Einspielfilme fügen sich zu einem satirisch-politischen Wochenrückblick. Das Ganze schien eine reibungslose Erfolgsstory zu werden. Doch plötzlich stieg der Süddeutsche Rundfunk aus der BR-SDR- Kooproduktion aus und der HR ein. Am vergangenen Montag und Dienstag ließ Wieland Backes, Leiter der SDR-Fernsehabteilung Unterhaltung II, sich auf Medienseiten als jemanden darstellen, dem „seine“ Sonntagsshow gestohlen wurde, der „dem totalen Verlust seines Fernsehkindes“ nachtrauert. Von „Ideenklau“ war die Rede. Was war geschehen?

Zum SDR-Ausstieg im Rahmen der offiziellen Pressekonferenz befragt, hielt Reichenberger sich bedeckt. Erst hinterher am Büffet wurde er deutlich: Mit einem repressiven Vertragswerk wollte der SDR die Kreativleistungen von Autor, Moderator und Regisseur nicht als solche würdigen. Das eingespielte Team Reichenberger und Meyer-Burkhardt sollte lapidar als „redaktionelle Mitarbeiter“ geführt werden. Grundlegende Kreativleistungen wie die stilbildende Konzeptualisierung der Kameraarbeit durch Regisseur Utz Weber figurierte nur als marginale Zuträgerarbeit. Hauptgrund für den ARD-internen Streit ist natürlich wieder die Eitelkeit: Das Ganze sollte ein hundertprozentiges SDR-Kind bleiben, weil Wieland Backes selbst moderieren wollte.

Dieses Argument ist jedoch dadurch entkräftet, daß Backes nach seinem Mißerfolg mit den „Couch- Geschichten“ seinen Kopf so schnell nicht mehr auf die Mattscheibe kriegt. Da die Idee für die „Sonntagsshow“ verbürgterweise in Stuttgart entstand, spricht am Ende doch einiges für die Version des eleganten Ideentransfers von der Schwaben- in die Mainmetropole. Denn die Halbstunden-Polit- Show, die ab 9. Mai vierzehntägig im Wechsel mit „Zak“ im Ersten ausgestrahlt wird, wird jetzt in Frankfurt produziert. Offiziell hieß es, daß die HR-Studios die einzigen wären, die mit einem Kamerakran der Firma MAT ausgestattet wären...

Aber die ganze Wahrheit erfährt man eben erst beim Häppchen-Verzehr. Der beim SDR frei beschäftigte Autor Rolf Schlenker, der für die vorgestellte Pilot-Show einen köstlichen Beitrag über amtsschimmlige parlamentarische Staatssekretäre fertigte, fühlt sich nun beim Brötchengeber SDR unter „psychologischen Druck“ gesetzt, nicht für die Renegaten zu arbeiten. Herrlich. Und der SDR hat sich nicht mal die Rechte am Namen der Show gesichert. So schön streiten ansonsten nur die Grünen.

Die Qualität der Pilotsendung ist jedenfalls überzeugend. Da tritt etwa ein praktizierender Sadomasochist aus einer stilisierten Weltkugel, spricht von „Handlungsbedarf“ und erklärt, wie man die Lärmbelästigung beim Sex durch Anwendung von Knebeln senken kann. Aufgezeichnet wurde die Pilotsendung einen Tag nachdem Hardy Krüger nicht zu Gottschalk gehen wollte. An der Hotelbar erklärt Krüger, daß er es unmöglich findet, daß Tommy den Schönhuber einfach quasseln ließ. „Ich frage ja nur!“ sagt Meyer-Burkhardt erschrocken, als die von ihm interviewte Gabriele Krone-Schmalz heftigst Boris Jelzins Trunksucht in Schutz nimmt. Sehr vielversprechend! Manfred Riepe