Ethnische Räuberung

■ Ice Cube und Posse in Berlin

Es wird sich nicht verabschiedet und schon gar nicht gedankt. Noch einmal kräht Ice Cube „Ber-lin“, dann sind auch schon die Lärmmaschinen mit dem Lichtschalter ausgeknipst, mit dem Saallicht springt die allgemeine Bedröhnung an, und doch, in einem Augenblick hört man die Schritte im Plastikmüll, das Scharren und Schleifen. Das ist das gute am HipHop, alles ist Musik. Und Sitcom, Agitprop, Kabarett, Kirche, Basketball: ein Konglomerat selbstbezüglicher Rituale mit mehr oder weniger Hang zur Vermittlung. Die Schwarzen nennen Neger Nigger und machen den Affen, und zwar füreinander, wie es scheint. Man spielt den Groben und amüsiert sich, spielt Streit und grinst dabei. Fünfundachtzig-Kilo-Männer, die über die Bühne galoppieren und den Arm wedeln lassen wie einen großen Scheibenwischer.

Es ist alles dieselbe Crew: die zwei lustigen Stimmungsmacher am Anfang, der schon etwas konzentriertere Lench Mob und dann das Duo Ice Cube/Jinx plus Alibi-DJ. Die Show gleicht sich, aber: an den Samples sollt ihr sie erkennen. Das ist der Strom, an dem das Publikum hängt: eine melancholische Akkordfolge auf der Gitarre, schwere, von Erdrutschsounds zerriebene Beats, schrullige Verkürzungen, Biegungen und gänzlich willkürliche, launische Breaks; wir machen mal zehn Sekunden Pause und tun so, als wäre gerade alles kaputtgegangen. Zu dem Spaß mit dem Unsinn gehören auch die Wettbewerbe, bei denen das Publikum, von Ice Cube und Sir Jinx angeheizt, in zwei konkurrierende Hälften geteilt, Obszönitäten rufen darf – wobei die Wettbewerbe nie entschieden werden.

Wie überhaupt alles, was mit Konfrontation zu tun hat, storniert ist. Es wird von vornherein Kurs genommen auf halbtote Gegner: „Fuck Bush!“ soll das Publikum rufen (und tut es), „Fuck America!“ soll es rufen (und tut es), „Fuck Ice Cube!“ soll es rufen – Schmähung und Liebeserklärung, dasselbe. Die saublöden Türken aus Kreuzberg und die gestriegelten Arschgeigen aus Schöneberg und die miesen Ziegen aus Kassel und die beknackten Nigger aus der US-Armee: sie sind alle gutmütige Gelegenheitstänzer, Gelegenheitsarmeschwenker bei einem Abend mit den lustigen Herren aus Los Angeles. Wie kleine schmutzige Kugeln reichen sie Extrakte ihrer Identitäten herum, stecken sich gegenseitig ihre neighborhoods in die Taschen. Und ein paar Jungs nehmen den Shit der ethnischen Räuberung und krümeln ihn zu dritt in ein Papiertütchen. Einer hält das Feuerzeug, zwecks Beleuchtung.

Alles, was gesagt war, gilt nicht mehr. Wenn es etwas Böses zu rappen gibt, geht es unter im Dröhnen der Verstärkung: die schrecklichen Koreaner mit ihren Läden, die Homosexuellen, die Ice Cubes Hintern entjungfern wollen, die „kalten blauen Augen“ des weißen Mannes und die miesen Tricks der bitches. Ice Cube, dessen Texte mit demselben Ernst und Eifer diskutiert werden wie die Neuigkeiten aus der Gauck-Behörde, ist niemand mehr als der Finsterste unter den Spaßmachern dieses Konzerts. Verblüffend, wie gewalttätig im Vergleich jedes Rockkonzert verläuft, wo Innerlichkeit feilgeboten wird zur Aneignung. Gerade diese von überall geklaute Musik geht mühelos – pathosfrei – zurück an jedermann.

Verstörend ist allerdings, daß die Leute der ersten beiden Sets wie Bodyguards im Bühnendunkel herumstehen müssen, während Ice Cube dran ist – eine fiese Unterwerfung. Derlei interner Habitus vorausgesetzt, ist es nicht wahrscheinlich, daß der zweijährige „Little Ice Cube“, schnullerlutschend (sucker!) vom Vater vorgeführt, in zwanzig Jahren rappen wird wie der Alte, wie unter Jubel verkündet wird: husten wird er ihm was. Ulf Erdmann Ziegler