Sanssouci
: Nachschlag

■ "Bis die Mauern Walzer tanzen" - Lesung von Werner Söllner und Mircea Dinescu

Der Held war da, ein furchtloser Drachentöter. Der den Sturz des Diktators als erster im Fernsehen bekanntgab. Der Dichter als Sieger der Geschichte.

Mircea Dinescu lächelte skeptisch. Als Gast des DAAD zur Zeit in Berlin, trug er seine Gedichte vor, übersetzt von Werner Söllner, der auch eigene Lyrik las. Söllner, 1982 in die Bundesrepublik übergesiedelt, schreibt über eine Landschaft, die von ihren Bewohnern längst verlassen wurde: Siebenbürgen, ein zunehmend weißer Fleck auf der Landkarte. Seine Gedichte aber betreiben kein buchhalterisches Abschildern längst vergangener Zustände, sondern finden immer wieder das Nebeneinander von Vertrautheit und Enge, von Natur und drohender Agonie. Elegisch, leise und doch die Urheber der Zerstörung genau benennend – auch wenn nicht ein einziges Mal Ceauçescus Name und der seines barbarischen Dorfbereinigungsprogrammes fällt.

Dinescus Zugriff ist anders: spielerisch, aggressiv. „Bei uns auf dem Lande ist es schön.“ Wenn nur die Feuerwehr nicht immer die eigenen Häuser anzünden würde, wenn man in der Salamifabrik nicht immer so seltsam nach Pferden Ausschau halten würde, aber ansonsten: „Alles ist gut.“ Der in den letzten Monaten der Diktatur mit Hausarrest bestrafte und jetzige Schriftstellerverbands-Präsident Mircea Dinescu zählt zu den bedeutendsten Dichtern der osteuropäischen Avantgarde. Auch er macht sich keinerlei Illusionen über das Wesen der Menschen (das verhindert weinerliches Klagen gegen „die da oben“) und bekämpft darum doppelt stark totalitäre Gesellschaften, in denen das Individuum noch zusätzlich malträtiert wird; philosophisch akzentuiert, existentiell, dabei aber niemals unverbindlich daherplappernd.

Komponiert aus Alltagssprache, ideologischer Floskel und Sprachspiel, wird hier die Grenze zwischen politischer Kampfansage, Reflexion und „reiner Lyrik“ immer wieder so unerwartet übersprungen, daß es eine Freude ist – wann auch ist es sonst zu beobachten, daß Zuhörer nach einzelnen Zeilen spontan Beifall klatschten?

Die Begeisterung des Publikums überraschte nicht – Dinescus Gedichte haben sich bei aller Konkretheit ihre Souveränität dahingehend bewahrt, daß sie auch nach 1989 politische Brisanz behalten – und ästhetischen Reiz. Es gibt keine Zensur mehr, auch das Verbot der Verwendung des Wortes „Kartoffel“ im Gedicht bei Kartoffelknappheit im Land gehört der Vergangenheit an. Dinescus subversive Kartoffeln aber werden überleben – „bis auch die neuen Mauern Walzer tanzen“. Marko Martin