Eschberg findet seinen Leisten

■ Frankfurts Schauspielchef inszeniert „Othello“

Der Fremdenhaß hat zwei Shakespeare-Dramen hervorgebracht: den Kaufmann und den Mohren von Venedig. Beide Figuren haben Größe. Beide fahren zur Hölle. Der eine ist Jude, der andere ein Schwarzer. Beide werden getäuscht – beide üben Selbstjustiz aus Enttäuschung. Weit kommen sie nicht. Lessing würde sagen, die Lehre sei: Nicht zuweit zu gehen. Er meinte, Othello sei das „vollständigste Lehrbuch, da können wir alles lernen, was die Eifersucht angeht und sie vermeiden“.

Bei Peter Eschberg haßt Leutnant Jago seinen schwarzen Kriegsherrn Othello nicht, weil er ihn bei der Beförderung übersehen hat. Sondern ganz direkt, weil er ein Schwarzer ist. Eschberg inszeniert Jago unter deutschen Saufkameraden, die sich selbst als dumpf, durchtrieben, gehorsam und trinkfest feiern. Anders als sie besitzt der gütige, freiheitliche Schwarze und Weltgewandte eine „Potenz“, die Frauen wie Desdemona besser befriedigt als die hager-nervösen Deutschen... eine Potenz der Freiheit und Güte. Bei Shakespeare heißt ihr dümmster Eroberer: Rodérigo – bei Eschberg ist's ein eingeklemmter Playboy. Er sucht eine Frau, die möglichst schwer zu haben ist. Sein Kummer, eine gerade mal aus der Ferne Erspähte gleich an Othello zu verlieren, vergeht auf der Stelle, als Jago – „Tu Geld in deinen Beutel“ – zur Jagd bläst. Einen Schwarzen erledigen wir – mit Geld und List – allemal.

Und sie erledigen ihn. Ein durchsichtiges Hatzspiel. Othello, meinte schon 1910 Alfred Kerr, ist ein schlechtes Stück. Jagos List – eine Eifersucht anzüchten, und alle Ehre fährt in den Orkus – ist einfach zu durchschauen. Bereits mit ihrem ersten Auftritt könnte Jagos Frau Emilia das ganze Stück zerstören. Sie müßte nur ihr Maul aufmachen. Bei Eschberg steht sie, wie alle Beteiligten, als stummer Gaffer auf der Fläche. Als Mitschuldige, die schweigt, um Shakespeare gewähren zu lassen. Eschberg inszeniert die Story blank von Erich Frieds Blatt. Demonstriert im schlichten, ohrmuschelförmigen Bühnenbild von Kazuko Watanabe Bescheidenheit in der Ausstattung („Wir sind ein armes Theater“). Er denkt nicht über die Story nach, sondern schmiert sie, damit sie nicht langweilt. Eschberg findet seinen Leisten, hobelt seine vergangenen Mißerfolge weg. Bescheidet sich als guter Erzähler mit der Story, die er soldatesk aufs Deutschen-Klischee trimmt. Die Offiziere sind preußisch und schlagen die Hacken zusammen. Die Frauen entsprechen in Kostüm, Kleidung und Sprechweise den weiblichen Leitbildern der Nationalsozialisten. Vor lauter Bescheidenheit wirken sie welk – nicht begehrenswert. Und werden auch nicht begehrt. Denn das Thema heißt Othello, sein wendiger Kontrapunkt heißt Jago. Othello ist Hans Falar, ein Einkitscher. Jeder Auftritt sucht innige Haltung, jeder Gestus ein Leid. Erst seine Stimme hebt ihn zur Autorität. Was für eine Stimme! Überlegen und überlegt. Der listenreiche Jago ist Karl-Friedrich Praetorius. Jeder Auftritt hat Haltung. Jeder Gestus macht Spaß. Doch seine jüngelnde Stimme... Erst im Beiseite, im Unterspielen seines Stimmchens gewinnt er.

Desdemona, die zu Erobernde, wird ihrer angeblichen Untreue an einem Taschentuch überführt, das Jago einem anderen unterschob. Othello entdeckt's und hat Schnupfen. Herr Eschberg, ist das eine Idee? Desgleichen: Othello ersticht nicht Desdemona, sondern erwürgt sie. Welch' ein Unterschied... Lessing würde sagen, daß es eine Lehre sei, nicht zuweit zu gehen. Für Eschberg hieß es: sicheres Gelände in seiner theaterabenteuerlustigen Stadt Frankfurt zu erreichen. Er belehrte über Deutsche, indem er NS-Frauenideale inszenierte. Kummerkitsch, nicht langweilig, doch schlohweiß genug, gemacht für den Silbersee, der auf den Häuptern des müde applaudierenden Publikums in schütterem Haar widerstrahlte. Arnd Wesemann

William Shakespeare: „Othello“. Regie: Peter Eschberg, Bühne: Kazuko Watanabe, mit: Hans Falar, Karl-Friedrich Praetorius, Annemarie Knaak u.a. Weitere Vorstellungen am 4., 8. und 14.4.