FDP übt Harakiri

■ Landesparteitag hätte fast den gesamten Vorstand entmachtet / Carola von Braun knapp wiedergewählt

Berlin. Auf Parteitagen ist der günstigste Zeitpunkt für einen Handstreich der späte Abend. Nach stundenlanger Monotonie der immer gleichen Debatten haben sich dann die nach den Herkunftsbezirken gegliederten Formationen der Delegierten zumeist aufgelöst. Wer nicht bereits gegangen ist, bewegt sich in einer amorphen Mischung aus Familientreffen und Strategiezirkel. Das ist die Stunde, in der Stimmungen kippen und stramme Seilschaften den Durchmarsch proben.

Die Berliner FDP hat derlei Situationen in ihrer Geschichte schon häufiger erlebt, und so wurden kundige Liberale hellhörig, als am späten Freitag abend das ehemalige Mitglied des Landesvorstandes, Susanne Schwab, sich zu einem eigentlich routinemäßig abzuhandelnden Punkt mit einem ungewöhnlichen Antrag meldete. Sie begehrte, die folgende Abstimmung über die Entlastung des Landesvorstandes und des Landeskassierers geheim durchführen zu lassen.

Vorausgegangen war eine heftig geführte Kontroverse um die Geschäftsgebaren des Landesschatzmeisters Werner Upmeier. Die Gemüter erhitzten sich an einem von ihm angeblich verschwiegenen Defizit von 146.000 Mark in der Parteikasse sowie einer Firma, die von ihm im Auftrag der Freien Demokraten betrieben wird, bei der jedoch die Besitzverhältnisse strittig sind. Unredliche Auskünfte und Geheimniskrämerei mußte sich der Kassenwart deshalb vorwerfen lassen, er wiederum drohte seinen Kritikern wegen der „ungeheuerlichen Angriffe“ rechtliche und satzungsmäßige Schritte an. Upmeier stand zwar im Kreuzfeuer der Kritik, gemeint war jedoch die Vorsitzende von Braun, die in ihm einen Mann ihres Vertrauens als Schatzmeister hat. Über die Finanzen, so mutmaßte denn auch der Spandauer Bezirksvorsitzende Wolfgang Mleczkowski, werde ein Stellvertreterkrieg geführt. Der eskalierte, als Schwab ihren Antrag auf geheime Abstimmung stellte. Schwab war erst im Januar mit zwei weiteren Parteifreunden des rechten Flügels aus Kritik an von Braun aus dem Vorstand zurückgetreten.

Für Minuten stand die Partei am Freitag abend vor dem politischen Fiasko, denn das Führungsgremium nicht zu entlasten, hätte bedeutet, daß dessen Mitglieder zwei Jahre lang kein politisches Mandat mehr übernehmen dürfen. Ein ob dieser Aussicht verzweifelter Delegierter versuchte seine konservativen Parteifreunde mit dem Hinweis zur Vernunft zu bringen, daß diesem Verdikt auch der ihrem Flügel zuzurechnende stellvertretende Landesvorsitzende, Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, zum Opfer fallen würde. Trotzdem verweigerten immerhin 98 der 311 noch anwesenden Delegierten dem Vorstand die Entlastung, doppelt soviel, 197, stimmten dafür.

Dieser, so von Braun, „unwürdige und empörende“ Vorgang war der vorläufig letzte Akt einer seit Monaten währenden Auseinandersetzung um den Kurs der Partei. Wirtschaftsliberale, wie das Berliner Bundesvorstandsmitglied Susanne Thaler, werfen der Vorsitzenden vor, Positionen zu vertreten, die „linken Sozialdemokraten zur Ehre gereichen“ würden. Obgleich sie sich um Integration bemühte, sank von Brauns parteiinterne Popularität stetig, wurde ihr der kontinuierliche Mitgliederschwund genauso angelastet wie der geschwundene politische Einfluß der Liberalen in den ostberliner Bezirken.

Am Samstag mußte sie sich zum ersten Mal bei der Wahl zum Landesvorstand einer Gegenkandidatin stellen. Die Zehlendorfer Bezirksvorsitzende Erika Schmid- Petry schaffte es mit ihrer vehementen Kritik an der Arbeit des bisherigen Vorstandes, die Stimmen von 159 Delegierten auf sich zu vereinen. Für von Braun sprachen sich 175 aus, vor zwei Jahren waren es noch 100 Delegierte mehr gewesen. Ähnlich knapp war auch der Vorsprung, mit dem Personen ihres Vertrauens zu ihren Stellvertretern gewählt wurden.

Dem bisherigen Beisitzer Jürgen Wandke half auch die öffentliche Unterstützung durch Rexrodt nicht, der ihn gerne als Mann seines Vertrauens im Vorstand gehabt hätte. Er unterlag gegen den Von-Braun-Mann Gerhard Schiela mit 158 zu 162 Stimmen. Selbst der angeschlagene Kassierer Werner Upmeier wurde auf seinem Posten bestätigt. Von den Konservativen konnte sich einzig Rexrodt als Stellvertreter durchsetzen. Er erhielt unangefochten 266 Stimmen. Trotz dieser hauchdünnen, aber durchgängigen Mehrheit für ihren Flügel will von Braun auch weiterhin „in konstruktiver Zusammenarbeit“ das „doppelköpfige Profil“ der Berliner FPD wahren. Dieter Rulff