Zollfreie Umweltschäden

Amerikanische Umweltschützer, Bürgerrechtler und Gewerkschaften bekämpfen gemeinsam das Freihandelsabkommen Nafta  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Ein gesteigertes Interesse für die Ökologiebewegung und demokratische Prozesse konnte man den „Teamsters“ bislang nicht nachsagen. Die US-Gewerkschaft der LKW-Fahrer, deren berüchtigstem Chef Jimmy Hoffa gerade ein Hollywood-Film gewidmet wurde, hat sich Zeit ihres Bestehens eher durch Mafia-Kontakte und eine schier endlose Kette von Korruptionsfällen einen Namen gemacht. Wenn die Teamsters also dieser Tage Koalitionen mit Greenpeace, Gemeindepfarrern und Jesse Jackson eingehen, dann muß das schon einen besonderen Grund haben. Der hat in diesem Fall fünf Buchstaben: Nafta, was in voller Länge „North American Free Trade Agreement“ bedeutet und drei Länder, Kanada, die USA und Mexiko, in einen grenz- und zollfreien Handels- und Wirtschaftsraum verwandeln soll.

Lange Zeit war der Nafta-Vertrag für die Öffentlichkeit in den USA wie auch für den Kongreß ein undurchschaubares Paragraphen- und Regelwerk – zu abstrakt, um sich konkrete Folgen für das eigene Leben vorstellen zu können. Erst als George Bush im Wahlkampf Nafta als Heilmittel zum Wirtschafts- und Exportaufschwung anpries, wurden kritische Stimmen lauter. Vor allem die Gewerkschaften, aber auch demokratische Senatoren sowie der dritte Kandidat im Rennen, Ross Perot, prophezeiten die Abwanderung US-amerikanischer Industrie in das Billiglohnland Mexiko – und als Konsequenz einen entsprechenden Druck auf die Lohnentwicklung in den USA. Das Abkommen ist inzwischen zwar von den Regierungschefs der drei Länder, Mexikos Staatspräsident Salinas, Kanadas Premierminister Mulroney und dem damals noch amtierenden Präsidenten Bush unterzeichnet worden. Doch die Clinton-Administration hat Änderungswünsche angemeldet; die Ratifizierung durch den US-Kongreß ist alles andere als sicher und auf lokaler und nationaler Ebene sammelt sich die Opposition.

Was die verschiedenen Interessengruppen eint, ist die Befürchtung, internationale Abkommen wie Nafta oder Gatt würden nationale gesetzliche Standards in Sachen Umweltschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz, Arbeitslöhne oder Lebensmittelschutz aufheben. Denn Unternehmen genießen dann nicht nur die Freiheit, zollfrei zu exportieren, sondern auch die Freiheit, dort zu produzieren, wo Löhne niedrig und Umweltvorschriften Makulatur sind – in der Regel in Mexiko.

Besonders schmerzhaft macht sich diese Tendenz schon jetzt im Bundesstaat Kalifornien spürbar, in dem vergleichsweise fortschrittliche Umweltvorschriften herrschen. In den letzten Jahren ist ein großer Teil der kalifornischen Möbelindustrie in den Grenzstreifen zwischen Mexiko und den USA abgewandert, wo die einzelnen Hersteller auf mexikanischem Territorium sogenannte „maquiladores“ eröffnet haben. In den letzten drei Jahrzehnten sind dort über 2.000 dieser Fabriken entstanden, die ihre Produktionsstoffe zollfrei einführen dürfen – unter der Voraussetzung, daß das Endprodukt wieder ins Ausland, in aller Regel die USA, ausgeführt wird. In den Augen der Freihandelsgegner demonstrieren die maquiladores im kleinen, was Nafta im großen Rahmen bescheren wird: die Löhne liegen hier sieben bis zehn Prozent unter dem US-Niveau; Arbeitsschutzbestimmungen existieren nicht, es herrscht reger Verkehr von Lastern mit Industriemüll, die dort ihre Ladung loswerden. Industrieabfälle und Giftmüll, die Krebs, Fehlgeburten und Hirnschäden verursachen, werden in offene Gräben gekippt. Die „American Medical Association“ hat die Region als „Brutstätte für alle möglichen Infektionskrankheiten“ bezeichnet. Über die Hälfte der 100 größten US-Unternehmen betreiben inzwischen Produktionsanlagen an der US-mexikanischen Grenze. Obwohl sie eigentlich verpflichtet sind, ihren Müll wieder mit nach Hause zu nehmen. Doch wie das „General Accounting Office“ (GAO), eine parteiübergreifende Untersuchungsbehörde des US-Kongresses in mehreren Stichproben festgestellt hat, hält sich kaum ein US- Unternehmen daran.

Was Umweltschützer und Verbraucherorganisationen jedoch am meisten alarmiert, ist der Umstand, daß einmal ratifizierte Regeln im Rahmen eines Freihandelsabkommens nationale Gesetze außer Kraft setzen können. US- Umweltschützer verweisen auf den sogenannten „tuna/dolphin“- Fall. Aufgrund eines herrschenden Gesetzes zum Schutze von Delphinen hatten die USA den Verkauf von Thunfisch aus mexikanischen Fangbeständen verboten, weil mexikanische Fischer durch ihre Fangtechnik Tausende von Delphinen töten. Mexiko wurde in Genf beim zuständigen Gatt-Gremium vorstellig und bezichtigte die USA, durch das Tierschutzgesetz Handelshemmnisse aufzubauen. Die Gatt-Entscheidung im September 1991 fiel zugunsten Mexikos aus. Noch sind das US-Gesetz und das Embargo gegen mexikanischen Thunfisch allerdings in Kraft. Die mexikanische Regierung hat bislang in Washington nicht auf die Umsetzung der Gatt- Entscheidung gedrungen, um Nafta nicht zu gefährden.

Nun treten die USA keineswegs immer als Hüter des Umweltschutzes auf. US-Bierhersteller klagen zur Zeit gegen die kanadische Provinz Ontario, weil sie Getränkedosen, die nicht recyclebar sind, mit einer Steuer belegt. Kanadische Asbestproduzenten wiederum nutzen das bereits bestehende Freihandelsabkommen mit den USA, um das US-Import- und Herstellungsverbot gegen Asbest aus den Angeln zu heben. Ein US- Gericht hat ihnen vorläufig Recht gegeben, sie zur endgütligen Regelungen jedoch an die Gatt-Gremien verwiesen.

Ähnlich wie bei den Verhandlungen der Europäischen Gemeinschaft zum Asylrecht argumentieren auch Nafta-und Gatt-Befürworter mit dem Schlagwort der „Harmonisierung“. Umweltschutz- und Konsumentengruppen wie Greenpeace, der „Sierra Club“ oder „Public Citizen“ unter Leitung des Verbraucheranwalts Ralph Nader argumentieren dagegen, daß einer Harmonisierung die jeweils fortschrittlichsten Gesetze einzelner Mitgliedsländer zum Opfer fallen. Unter den neuen Gatt- Regelungen dürften zum Beispiel Milch-, Getreide- und Fleischprodukte wieder DDT enthalten, was in den USA derzeit verboten ist. Zuständig für Gatt-Standards bei der Lebensmittelherstellung und den zulässigen Schadstoffgehalt wäre nach einem Abschluß der Uruguay-Runde ein Gremium mit dem Titel „Codex Alimentarius“ mit Sitz in Rom. In der US-Delegation tummeln sich Vertreter von Coca-Cola, Pepsi, Nestle und Kraft, aber keine Repräsentanten von Umwelt- oder Verbraucherschutzgruppen. „Diese Freihandelsabkommen“, sagt Karen Lehman vom „Institute for Agriculture and Trade Policy“, „werden mehr Macht haben, darüber zu bestimmen, wie wir essen und mit unserem Müll umgehen, als unser Parlament.“

Andere think tanks wie das „World Watch Institute“ in Washington geben sich da optimistischer. Trotz massiver Gefahren für Umwelt und Arbeitsschutz nicht nur in den USA, sondern vor allem auch in sogenannten unterentwickelten Ländern, könne man letztlich die verschiedenen Interessen in Einklang bringen – zum Beispiel durch Ökofonds für Mitgliedsländer der Dritten Welt oder langfristig durch die Miteinbeziehung von Umweltschäden in die Herstellungskosten der Produkte. Was das World Watch Institute allerdings nicht verrät, ist, woher der politische Wille für diese Maßnahmen kommen soll.

Was Nafta betrifft, so hat US- Präsident Clinton bereits angekündigt, das Abkommen nur mit Zusätzen zu akzeptieren, die US- Standards beim Arbeits- und Umweltschutz sichern. Wenn das nicht durchsetzbar sei, so erklärte der US-Handelsbeauftragte Mickey Kantor letzte Woche vor einem Kongreßausschuß, werde man eher aus Nafta aussteigen. Unter anderem will die Clinton-Administration die Einhaltung dieser Standards durch Nafta-Kommissionen garantiert wissen. Doch noch herrscht in der US-Regierung komplette Konfusion darüber, welche Kompetenzen und Sanktionsmöglichkeiten solchen Kommissionen zugestanden werden sollen. Weder im Repräsentantenhaus noch im Senat, so ließen demokratische Abgeordnete den Präsidenten letzte Woche wissen, gebe es unter diesen Umständen eine Mehrheit zur Ratifizierung des Nafta-Vertrages.

Die Teamster und ihre Koalitionspartner nehmen diese Entwicklung mit Wohlwollen zur Kenntnis – und dehnen ihre Aktivitäten ganz im Sinne des Grenzabbaus aus: Umwelt-und Verbraucherschützer, Bürgerrechtler, Gewerkschaften und Kirchen treffen sich inzwischen regelmäßig auf trilateraler Ebene, um gegen Nafta zu mobilisieren.