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Ausnahmen und Regel

■ Die Hierarchie im neuen „Opferentschädigungsgesetz“

Berlin (taz) – Ausländer ist nicht gleich Ausländer – so die Kurzformel, auf die sich die gerade verabschiedete Änderung des „Opferentschädigungsgesetzes“ bringen läßt. In die Wege geleitet wurde die Gesetzesänderung angesichts der ausufernden Gewalttaten gegen Ausländer, die bisher – im Unterschied zu Deutschen – keinen Pfennig vom Staat erhielten, wenn sie körperlich verletzt wurden.

Wie sieht die neue Entschädigungshierarchisierung aus? Nur jene Opfer eines Gewaltverbrechens erhalten eine Entschädigung, die rechtmäßig in der Bundesrepublik leben oder geduldet sind. Von den Geduldeten wiederum werden nur die berücksichtigt, die aus humanitären Gründen bleiben dürfen, nicht jedoch jene, bei denen „lediglich aus formalen Gründen eine Abschiebung nicht erfolgen kann“. Das ist das eine.

Zusätzlich wird nach der Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik differenziert. Nur Ausländer, die länger als drei Jahre hier leben, haben wie Deutsche und EG-Ausländer einen Versorgungsanspruch. Neben einer Grundrente erfaßt dieser, je nach Schädigung, zusätzliche Ersatzleistungen.

Ausländer, die weniger als drei Jahre, aber länger als sechs Monate in Deutschland leben, erhalten nur „einkommensunabhängige Leistungen“, bei denen das Ausmaß der Schädigung keine Berücksichtigung findet und lediglich eine „pauschale Abgeltung“ erfolgt. Grund für diese Benachteiligung: die mangelnde „Verfestigung des Aufenthalts“ beziehungsweise das „Ausmaß der Integration“.

Alle anderen Menschen, die in Deutschland körperlich mißhandelt werden – zum Beispiel Touristen – bleiben grundsätzlich weiterhin unberücksichtigt; es sei denn, daß sie auf den „Härteausgleich“ zurückgreifen können. Wurden sie nämlich bei einem Übergriff „mindestens schwerbeschädigt“, können sie mit „Zustimmung der obersten Landesbehörde im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit“ eine einmalige Leistung erwarten.

Eine wirkliche Ausnahme schließlich ist die „lex Mölln“. Diese Regelung, die der Gesetzgeber sich verwahren würde so zu titulieren, erkennt auch jenen Touristen und deren Hinterbliebenen einen Anspruch zu, die mit Deutschen oder rechtmäßig hier lebenden Ausländern verheiratet oder gradlinig verwandt sind. Da das Gesetz rückwirkend ab Januar 1991 gilt, sind die Attentate von Mölln und Hünxe voll erfaßt und die Hinterbliebenen des in Mölln getöteten Mädchens erhalten eine Entschädigung. Julia Albrecht

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