Vom „sanithären Wert“ des Brausebads

■ Stadtbad Mitte in der Gartenstraße öffnet nach acht Jahren wieder seine Becken/ Volksbäder haben in Berlin eine 100jährige Tradition/ Heute 45 Schwimmhallen

Berlin. Nach acht Jahren Bauzeit soll das Stadtbad Mitte in der Gartenstraße wieder seine Türen öffnen. Wenn Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) bei der Einweihung seine Badehose nicht vergißt, wird er – wie aus dem städtischen Bäderamt verlautet – möglicherweise selbst ins Becken des Stadtbades springen.

Die Bewohner eines Kiezes, wo Berlin noch am berlinischsten ist, erhalten eine Freizeiteinrichtung zurück, die sie seit Mai 1985 entbehren mußten. 1930 wurde das im Bauhausstil errichtete Gebäude mit seinen 50-Meter- Schwimmbahnen eingeweiht. Im Krieg war es beschädigt worden, und später nagte der Zahn der Zeit an der Bausubstanz sowie an den technischen Anlagen. Der damalige Magistrat ließ es schließen und ordnete eine Renovierung an.

Volksbäderverein rührte 1872 die Werbetrommel

Weit kamen die Ostberliner Stadtväter damit allerdings nicht, denn ihnen fehlte trotz Planwirtschaft das Geld. Erst nach der Wende flossen die Mittel reichlicher. Inzwischen sind 35 Millionen Mark investiert worden. Nicht weit von hier – am Kirchhof der Sophiengemeinde – existierte schon anno 1888 eines der ersten Berliner „Volksbäder“. Inmitten von Mietskasernen der Oranienburger Vorstadt gelegen, entsprach es einem damals dringenden Bedürfnis der „kleinen Leute“ zur Körperhygiene. In den überbelegten Wohnungen gab es häufig nicht einmal Platz für eine Holz- oder Zinkbadewanne. Liberale bürgerliche Kommunalpolitiker und Mediziner machten sich deshalb zu Förderern eines „Vereins für Volksbäder“, der 1872 „in Folge des immer lebhafter gewordenen Interesses an der Frage der Gesundheitspflege und der gesteigerten Werthschätzung des Badens“ gegründet wurde. Ein gewisser Dr. Lassar empfahl in diesem Zusammenhang „das Brausebad, dessen hoher sanithärer Werth von bedeutenden medizinischen Autoritäten wiederholt anerkannt“ worden war.

Im Sommer diente die Spree als große Badewanne

Bedeutsam für den Bau einer städtischen Badeanstalt gerade an dieser Stelle war auch die Tatsache, daß viele der hier wohnenden Männer in den Maschinenbauanstalten des nahegelegenen „Feuerlandes“ – links und rechts der Chausseestraße – beschäftigt waren. Nicht nur die Arbeit, sondern auch die Luft, angereichert mit dem Ruß von Dutzenden Dampfmaschinen, war schmutzig. Pilgerten die Arbeiter im Sommer hinter die Charité an das Ufer der Spree, um sich von Schweiß und Dreck zu reinigen, so aalten sie sich in den kühleren Jahreszeiten 30 Minuten lang im Wannenbad.

Erste-Klasse-Wannen für die „besser situirte Bevölkerung“

Auch dabei gab es eine Standeseinteilung. Im Volksbad Oranienburger Vorstadt standen den „besser situirten Bevölkerungstheilen“ in der I. Klasse Wannnen für 50 Pfennig sowie Brausen für 25 Pfennig zur Verfügung. In der II. Klasse mußten 25 bzw. 10 Pfennig entrichtet werden. Dafür wurden allerdings Seife und Handtuch gereicht. Im ersten Betriebsjahr nahmen – wie eine zeitgenössische Statistik verrät – 62.296 männliche und 21.809 weibliche Personen ein Bad. Am beliebtesten war die Wanne. Während sich immerhin jeder dritte Mann unter die Brause wagte, ließen sich nur neun Prozent der Berliner Damen vom Wasserstrahl besprühen. Ursache war offensichtlich eine gewisse Schamhaftigkeit – und dies, obwohl damals Männlein und Weiblein strengstens auseinandergehalten wurden.

„Reinigungsbäder“ sind immer noch gefragt

Die Akzeptanz der ersten Volksbäder machte den Stadtvätern Mut, weitere derartige Einrichtungen zu planen. Die Anstalten sollten „neben einer grösseren Anzahl Wannen- und Brausebäder auch grosse Schwimbassins mit Doucheräumen zum Betrieb während des ganzen Jahres und zur abwechselnden Benutzung für beide Geschlechter“ erhalten.

Heute verzeichnet eine Liste der zuständigen Senatsverwaltung in ganz Berlin 45 Stadtbäder und Schwimmhallen. Neun dieser Einrichtungen besitzen nach wie vor „Reinigungsbäderabteilungen“. Obendrein gibt es inzwischen an 28 Orten eine Sauna. Maria Michael