Trotz Waffenruhe kein Kriegsende in Sicht

■ Serben und Bosnier warnen vor neuen Kämpfen/ Debatte über Waffenembargo

Wien (taz) – Der bosnische Waffenstillstand hat offenbar auch gestern an den meisten Frontabschnitten gehalten. Die Kämpfe flauten überall ab, berichteten übereinstimmend die Propagandasender der Kriegsparteien. Aus der Umgebung von Srebrenica meldeten Amateurfunker allerdings neue Kämpfe. Serbische Truppen hätten an einigen Teilen des Belagerungsringes neue Angriffe gestattet. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.

Die Belgrader Tageszeitung Politika warnte in einem Kommentar bereits vor neuen Kämpfen, die angeblich „islamische Fundamentalisten“ anzetteln wollten, wenn sich die Witterungsverhältnisse in Bosnien besserten. Der neuerliche Wintereinbruch ist anscheinend der Hauptgrund, weshalb seit Sonntag auf den Schlachtfeldern relative Ruhe herrscht. Die Politika weiß, „uns Serben in Bosnien bleibt auch nichts anderes übrig, als sich weiterhin der (muslimischen) Diktatur entgegenzustellen“ und sich „darauf vorzubereiten, was nach dem Waffenstillstand folgen wird: die Weiterführung des Krieges“. Der jugoslawische Außenminister Jovanović äußerte sich in einem Interview ähnlich pessimistisch und sieht kein baldiges Ende der Kampfhandlungen. Zuversichtlich stimme ihn, daß „eine westliche Militärintervention nicht zu befürchten ist“.

Nach Ansicht des bosnischen Vizepräsidenten Ejup Ganić werden die Serben den Waffenstillstand nur bis zur Schneeschmelze einhalten. Die Serben hätten der Waffenruhe nur aus taktischen Gründen zugestimmt, um die UNO von massivem Druck abzuhalten, der ihnen wegen der Verweigerung ihrer Unterschrift unter dem Genfer Friedensplan drohe. Die Sarajevoer Zeitung Oslobodjenje titelte gestern, eine mögliche Wende im Krieg stehe bevor, da US-Außenminister Christopher nun in Aussicht gestellt habe, das Waffenembargo für die bosnischen Verteidiger aufzuheben. Auch EG-Vermittler David Owen schloß am Montag eine Aufhebung des Waffenembargos nicht mehr aus. Eine solche Drohung könnte als Druck auf die Serben benutzt werden, dem Genfer Friedensplan zuzustimmen, sagte er. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei dies jedoch nicht geboten. In Sarajevo will man jedoch vermeiden, falsche Hoffnungen zu wecken. Der bosnische Rundfunk berichtet rund um die Uhr von Kälte- und Hungertoten, die vor allem im Osten der Republik zu beklagen seien. Funkamateure melden aus der Provinz, ein Waffenstillstand allein nütze nichts, solange die serbischen Aggressoren ihre Belagerungsgürtel um die eingeschlossenen Gemeinden nicht aufheben und Medikamente und Nahrung nicht in ausreichendem Maße durchkommen könnten. Selbst in der nordbosnischen Großstadt Tuzla, die bisher vom Krieg relativ verschont geblieben war, sterben mittlerweile täglich Kranke und Alte an Schwäche und unzureichender medizinischer Versorgung. Es fehlt nicht nur an Schmerz- und Betäubungsmitteln, selbst Verbandsmaterial ging aus – und aus der Luft kommen keine Care-Pakete zu den etwa 120.000 Eingeschlossenen. Auch hier fordern Hunger, Entkräftung und Krankheiten mehr Menschenleben als die Scharmützel auf den Schlachtfeldern. Karl Gersuny/nig