Heute vor einem Jahr wurde mit der Stationierung von UN-Blauhelmen in den umkämpften Gebieten Kroatiens der Krieg dort vorläufig beendet. Bislang konnten jedoch weder die serbischen Milizen entwaffnet werden, noch konnten Flüchtlinge zurückkehren. Stillschweigend soll nun das UNPROFOR-Mandat bis Juni verlängert werden.

Geknebelt zwischen allen Fronten

Die Interessen der Konfliktparteien waren von Anfang an gegensätzlich. Die kriegserschöpften Kroaten erhofften sich durch ihre Unterschrift unter den „Vance- Plan“ Anfang 92 eine Atempause, der serbische Präsident Slobodan Milošević dagegen strebte eine Milderung des internationalen Drucks auf die serbische Seite an.

In den Monaten seit der Unterzeichnung rückten 14.000 UN-Soldaten aus knapp 20 Staaten in die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens ein. In den von „Kroatischer Nationalgarde“ kontrollierten Gebiete mit serbischer Bevölkerungsmehrheit (auf unserer Karte: W, N) stehen seitdem Soldaten der UNO aus so unterschiedlichen Ländern wie Polen, Nigeria, Dänemark, Argentinien, Jordanien, Kanada und Nepal. In den von Serben eroberten Gebieten Ost- und Westslawoniens (E) stationierte die UNO Belgier und Russen. In der Oberhalb der Küstenstadt Zadar gelegenen Kraijna (S) stehen kenianische, ex-tschechoslowakische, kanadische und französische UN-Soldaten. Die UNPROFOR- Truppen sollten gemäß des Abkommens die dort operierenden Freischärlerverbände entwaffnen. Die schweren Waffen sollten in den UN-Schutzzonen (UNPA's) unter UNO-Kontrolle genommen werden. Darüber hinaus sollte die UNPROFOR den Zugang zu ihrem Mandatsgebiet kontrollieren und darauf achten, daß sich nicht neue bewaffnete Verbände bildeten. Die Überwachung der Arbeit der örtlichen Polizei gehörte genauso zu ihren Aufgaben wie die Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen. Langfristig sollte UNPROFOR die Rückkehr der über 500.000 Vertriebenen in ihre Heimat gewährleisten.

Die Situation wurde durch die Aktionen der serbischen Militärs kompliziert, die entgegen der Zusagen im Vance-Plans ihren Vormarsch auf kroatisches Territorium fortsetzten. Die dadurch entstandenen, als „Rosa Zonen“ deklarierten Gebiete um den Peruca- Staudamm bei Split, bei Zadar und Karlovac, und auch Drnis südlich von Knin, sind für die kroatische Seite von besonderer Wichtigkeit. Die serbischen Milizen zielten darauf ab, im letzten Moment noch die Hauptverkehrslinien Kroatiens lahmzulegen und die kroatische Wirtschaft zu schädigen. So stoppte die serbische Seite den Abfluß aus dem Peruca-Staudamm bei Split — was sich für die Produktion von Elektrizität für eine Million Menschen negativ auswirkte. Nach dem Angriff kroatischer Truppen auf die „Rosa Zone" bei Zadar im Januar 1993 versuchten serbische Freischärler, die Staumauer des überfüllten Dammes zu sprengen. Serbische Truppen unterbrachen den Verkehr zwischen Zagreb und der dalmatinischen Küste durch die Eroberung der Maslenica-Brücke bei Zadar. Im Januar '93 wurde diese Brücke wieder von der kroatischen Armee erobert; wegen des Artilleriebeschusses konnte sie jedoch bis heute nicht instandgesetzt werden.

Ein Resumee über die Tätigkeit der UNPROFOR in den von der UN kontrollierten Gebieten Kroatiens zu ziehen, fällt den kroatischen Verantwortlichen leicht: Keines der angegebenen Ziele des Vance-Plans wurde nach Zagreber Sicht erreicht. Weder wurden die serbischen Freischärler entwaffnet, noch die schweren Waffen kontrolliert. Bei Bedarf holten die Freischärler sich aus den Depots, was sie brauchten. Die kroatischen Flüchtlinge durften bis heute nicht zurück in ihre Heimat, im Gegenteil, die „ethnischen Säuberungen“ wurden oft unter den Augen der UNO-Soldaten noch fortgesetzt. Die Grenzen zu Bosnien und Serbien konnte UNPROFOR nicht kontrollieren, um den Waffenzufluß für die Serben Kroatiens zu stoppen.

Als proserbische Parteilichkeit der UNO legt die kroatische Öffentlichkeit auch die Auswahl der Nationalitäten der UNO-Truppen in diesen Gebieten aus. Die um Vukovar, der im Oktober 1991 von Serben eroberten ostslawonischen Stadt, stationierten russische Truppen ließen nach kroatischer Einschätzung zu, daß zum Jahrestag der Eroberung der serbische Rechtsextremist und Belgrader Tschetnik-Führer Vojoslav Šešelj, eine Siegesfeier im „kroatischen Stalingrad“ abhalten konnte. Dieser Tage sind sogar reguläre serbische Soldaten auf dieses Gebiet vorgerückt. Daß Soldaten aus Kenia in der Kraijna stationiert sind — rassistisch denkende Tschetniks lassen sich doch nicht durch Afrikaner entwaffnen —, daß mit den französischen und kanadischen Truppen serbenfreundliche westliche Mächte in diese Gebiete geschickt wurden, hat in der kroatischen Boulevardpresse zu der Beurteilung der UNO-Truppen als „SRBPROFOR“ geführt.

Die kroatische Regierung unter Präsident Franjo Tudjman hält über den Vance-Plan hinausgehend bislang an der Forderung fest, daß in den UN-Gebieten „alle Gesetze und Institutionen der Republik Kroatien gelten sollen“. Die Gemeindeverwaltung, das Gerichtswesen, die Polizei und die Geldgeschäfte sollen im Einklang mit den Gesetzen der Republik Kroatien durchgeführt werden. Und: Die Sicherung der Grenzen gegenüber Serbien und Bosnien- Herzegowina soll nach Zagreber Wünschen von kroatischen Verbänden gewährleistet werden. Im Gegenzug sicherte Tudjman den kroatischen Serben bei einer Rückkehr ihrer Gebiete in den neuen, unabhängigen kroatischen Staat volle kulturelle und eine noch auszuhandelnde Autonomie zu. Es müßte aber dafür gesorgt werden, daß Kriegsverbrecher ihrer Strafe zugeführt werden können.

Forderungen, die für die in der international nicht anerkannten „Serbischen Republik Kraijna“ herrschenden serbischen Extremisten unannehmbar sind. Frühere serbische Geschäftsleute und andere serbische Bürger Kroatiens, die angesichts des Krieges ruiniert wurden, signalisieren jedoch Verständigungsbereitschaft mit Kroatien. Realpolitisch sind die kroatischen Forderungen trotzdem nicht ohne die Unterstützung der UNO durchzusetzen. Deshalb versuchte Präsident Tudjman Anfang des Jahres, durch eine militärische Aktion Druck zum machen. Indem kroatische Truppen im Januar bei Zadar und am Peruca-Staudamm angriffen, sollte die UNO an die Einhaltung des Vance-Plans erinnert werden. Die Drohung mit der Wiederaufnahme des Krieges jedoch verhallte, nachdem die serbische Seite unter Aufbietung von Elitetruppen — so über 1.000 Mann des Belgrader Freischärlers und Berufsverbrechers Arkan — die Kroaten ihrerseits aus Teilen der zurückeroberten Gebiete wieder vertreiben konnten. Militärisch, so scheint es, ist Kroatien weiterhin unterlegen. Nur eine internationale Aktion in Bosnien- Herzegowina, die die serbische Kräfte dort binden würde, könnte Kroatien auch militärisch Vorteile verschaffen. So muß Tudjman auf Zeit spielen und hoffen, daß mit der neuen US-Administration auch in Bezug auf die von Serben besetzten kroatischen Gebiete eine Änderung der UNO-Politik eintritt. Erich Rathfelder, Split