Der Tag des Boykotts

■ 1. April 1933: Heute vor 60 Jahren begann der organisierte Boykott gegen Hamburgs jüdische Geschäfte / Vorspiel für einen Völkermord

Heute vor 60 Jahren begann der organisierte Boykott

gegen Hamburgs jüdische Geschäfte / Vorspiel für einen Völkermord

Die Bilder sind bekannt: Grinsende SA-Leute umringen verängstigte Frauen und Männer, denen sie Pappschilder mit antisemitischen Aufschriften um den Hals gehängt haben. Alltägliche Szenen aus Nazideutschland nach der Reichspogromnacht 1938. Doch Diskriminierung und Gewalt gegen jüdische Bürger hatten bereits Tradition, als sich noch niemand die Terrorakte des November 1938 vorstellen konnte, sie gehörten sogar schon lange vor der Machtergreifung der Nazis 1933 zum Alltag. Heute vor 60 Jahren aber, am 1. April 1933, wurde zum ersten Mal deutlich, wie die Nazis mit den Juden umzugehen gedachten. An diesem Tag wurden zum ersten Mal jüdische Läden generalstabsmäßig boykottiert. Auch in Hamburg, das mehr als andere Städte als weltoffen und tolerant galt.

Offiziell sollten sich die geplanten „Abwehrmaßnahmen“ allgemein gegen Importprodukte richten. Doch während Propagandatrupps durch die Straßen liefen und Pappschilder mit der Aufschrift „Deutsche, kauft nur deutsche Waren“ herumtrugen, änderte die NSDAP die Taktik. Die Behauptung, daß vor allem ausländische Juden gegen die neue deutsche Regierung protestieren würden, diente als Begründung für das erste systematisch organisierte Vorgehen gegen deutsche Juden.

Die gleichgeschaltete Presse stimmte die Öffentlichkeit auf die geplanten Boykottaktionen ein. Mit deutscher Gründlichkeit sammelte man Adressen jüdischer Geschäfte, Rechtsanwälte und Ärzte, gegen die vorgegangen werden sollte. Mehrere Tage zuvor schon zog die SA vor Läden in Altona auf; um „Schädigungen von deutschen Gewerbetreibenden“ zu verhindern, erließ der gerade ernannte NS-Polizeipräsident die Verordnung, daß sich jüdische Geschäfte durch Plakate selbst zu kennzeichnen hätten. Und während sich unterschiedlichste Gruppen — darunter der Rotary Club, der CVJM, der Getreidehändlerverein — in Pressemitteilungen gegen die „Greuellügen“ von „angeblichen Judenverfolgungen“ aussprachen, erhielten alle jüdischen Mitarbeiter des Schauspielhauses ihre Kündigung, agitierten „Hamburgs deutsche Ärzte für die Reinheit ihres Standes“.

Die Schlagzeilen des Hamburger Tageblatts vom „Marschbefehl gegen die Juden!“ oder von „Hamburg im Abwehrkampf“ verhießen Schlimmes. Den am 31. März veröffentlichten „Richtlinien für den Boykott“ stand auf dem Titelblatt derselben Ausgabe Julius Streichers Parole „Schlagt den Erbfeind“ gegenüber — kaum ein Betroffener mochte da den Forderungen der Polizeibehörde nach „strengster Einhaltung der bestehenden Gesetzesvorschriften“ glauben.

Pünktlich zum offiziell angesetzten Beginn des Boykotts um zehn Uhr bezogen SA-Männer und Freiwillige ihre Posten vor Kaufhäusern und Geschäften, Cafes und Gaststätten. Mit Handzetteln, Flugblättern und Transparenten wiesen sie die Passanten darauf hin, daß es sich um jüdische Einrichtungen handelte, hinderten sie aber nur selten am Betreten. Da die Aktion samstags stattfand und besonders im Grindel-Viertel zahlreiche Läden wegen der Sabbatruhe geschlossen hatten, beklebten die Nazis die Schaufenster mit Propagandazetteln oder beschmierten die Fassaden. Insgesamt, so die offizielle Bilanz dieses Tages, gab es kaum tätliche Gewaltanwendung — jedenfalls wurde sie nicht aktenkundig.

Mit dem 1. April 1933 begannen jene staatlichen Enteignungs- und Vertreibungsmaßnahmen, mit denen die Nazis die Grundlagen für die wirtschaftliche und kulturelle

1Existenz der jüdischen Mitbürger zerstörten. Daran konnten auch jene „Protestkunden“ nichts ändern, die aus Solidarität nun vorrangig in jüdischen Geschäften

1kauften, zu jüdischen Ärzten und Anwälten gingen und so ihre Ablehnung gegenüber dem Regime zum Ausdruck brachten. Kay Dohnke