GERHARD FALKNER

Von Gerhard Sartorius

Der erste Gedichtband des 1951 geborenen Gerhard Falkner „so beginnen am körper die tage“ hat überrascht. Da war jemand, lange nach Trakl, nach Hofmannsthal, Rilke und Huchel, der inmitten einer Welle neo-konkreter, instrumentaler Poesie „schön“ schrieb ohne Beschönigung, der Empfindlichstes zum Widerstandsfähigsten zu wandeln wußte, jemand, der unter offenem Rekurs auf die Romantik Sprache wieder mit Lust traktierte: meine zunge spielt verrückt mit meiner muttersprache. Da war plötzlich das Gegenteil eines Langweilers aufgetaucht, ein Erfinder „heftiger Bilder“ und einer raffinierten „Sprache der Freude“ (Harald Hartung), dieser sprache, die mich rettet, wie es in einem anderen frühen Gedicht heißt, einer Sprache, die nicht nur den Schreibenden, die auch das Gedicht rettet. Diese sinnliche Wort-Glückseligkeit, die den ersten Versen Gerhard Falkners den Grundton gibt, zwischen Melancholie und Verzweiflung pendelnd, das Erschrecken vor der Welt als Ausgangspunkt („Ich bin kein Vielschreiber. Ich schreibe fast nur, wenn ich erschrecke.“) setzt sich in dem zweiten Gedichtband „der atem unter der erde“ fort, vielleicht mit größerer Könnerschaft, mit noch bewußter gegen das Ekstatische eingesetzter Ironie, mit einer hintergründig-erkenntnistheoretischen Kälte, die stets am Pathos entlangschrammt. 1989 erschien dann der dritte, von Falkner selbst als sein „letzter“ apostrophierter Gedichtband „wemut“: gewiß sein ambitioniertester, sein kühnster, aber auch sein disparatester Lyrikband, weil Gerhard Falkner sich hier freiere, prosaischere Formen der Lyrik erschließt und versucht, die eigenen Irritationen mit semantischen Brüchen und neuen experimentellen Formen in Deckung zu bringen. Es ist um so bedauerlicher, daß es um dieses Werk ab 1990 stiller wurde. Gerhard Falkner zog sich bewußt aus dem Literaturbetrieb zurück, lebte ein Jahr an der Westküste der USA und durchbrach die poetische Mangelwirtschaft, die er sich auferlegt hatte, nur selten, als Herausgeber von AMLIT, mit einigen Texten in dem Band „Proe“ und – heute, auf dieser Seite – mit drei bisher unveröffentlichten Gedichten.

Es ist sehr zu wünschen, daß der Luchterhand Verlag das mittlerweile vergriffene Werk von Gerhard Falkner neu auflegt. Denn er ist einer der wenigen, der – weil er sich subjektivster Ausprägung zum Vorschlag bringt – „uns an die Fähigkeit der Poesie erinnert, das bedrohte und belagerte Ausmaß unserer individuellen Sensibilität wiederherzustellen“. (Neil H. Donahue).

Bibliographischer Kurzhinweis

„so beginnen am körper die tage“, Gedichte, 1981, wieder aufgelegt in der Sammlung Luchterhand, 1984; „der atem unter der erde“, Gedichte, 1984; „Berlin-Eisenherzbriefe“, 1986 und „wemut“, Gedichte, 1989, alle im Luchterhand Verlag, Darmstadt und Neuwied.

In der Reihe „Text & Porträt“ werden LCB und DAAD im August 1993 ein neues Buch von Gerhard Falkner herausbringen, eine Summe poetologischer Reflexionen unter dem Titel „vom unwert des gedichts“.