Stahlbosse kochen Ostarbeiter ein

■ Vertrag über Anhebung der Ostlöhne geplatzt Keine Einigung, sondern heißer April in Sicht

Berlin (taz) – Einen Tag vor Ablauf der Friedenspflicht in der ostdeutschen Metallindustrie haben auch die Stahlindustriellen den Vertrag über die stufenweise Anhebung der Ostlöhne platzen lassen. Als gestern morgen das Faxgerät in der IG-Metall-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg das Kündigungsschreiben des Arbeitgeberverbandes Stahl e.V. ausspuckte, war für die Gewerkschaft klar: die Hoffnung auf eine Abwendung des Tarifkonflikts in der ohnehin krisengeschüttelten ostdeutschen Stahlindustrie ist nicht in Erfüllung gegangen. Ab sofort kämpfen die Stahlarbeiter an zwei Fronten: um den Erhalt ihrer Standorte und um ihren tarifvertraglich zustehenden Lohn.

Die Aufkündigung des bis 1995 geltenden Tarifvertrages über die Angleichung der Löhne an das Westniveau hat den Konflikt um die Lohnpolitik in Ostdeutschland zusätzlich verschärft. Seit Wochen hatte die IG Metall angekündigt, sie werde mit Arbeitskampf auf die nach ihrer Meinung rechtswidrige Verweigerung der Metall-Arbeitgeber antworten. Am 1.April wäre laut Vertrag eigentlich eine Erhöhung der Ostlöhne von 71 auf 82 Prozent des Westniveaus fällig. Die Arbeitgeber haben dagegen lediglich eine Lohnsteigerung in Höhe des Inflationsausgleichs in Ostdeutschland angekündigt. Schlichtungsverhandlungen gemäß einer im Vertrag vorgesehenen Revisionsklausel waren in den letzten Wochen nach übereinstimmenden Aussagen der berufenen Schlichter an der Kompromißlosigkeit der Metallarbeiter gescheitert.

Während sich die Metall-Arbeitgeber schon frühzeitig auf den Tarifbruch verständigt hatten, konnten die Unternehmensvertreter der Stahlindustrie sich wochenlang nicht einigen. In drei Präsidiumssitzungen des Arbeitgeberverbandes Stahl e.V. war keine Mehrheit für die Kündigung der Ost-Tarife zustande gekommen. Vor allem die Unternehmensvertreter aus Ostdeutschland schlossen sich der Einschätzung an, die vorzeitige Kündigung des Angleichungstarifvertrages sei rechtswidrig. Sie befürchteten, durch den zusätzlichen Konflikt um die Löhne könne sich die ohnehin schwierige Situation ihrer Unternehmen im Überlebenskampf der Stahlstandorte weiter verschlechtern.

Auch zwei informelle Spitzengespräche zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern brachten keine Klärung. Die IG Metall hatte bei diesen Gesprächen angedeutet, sie sei bereit, über eine Streckung der letzten und größten Angleichungsstufe 1994 (von 82 auf 100 Prozent) mit sich reden zu lassen, wenn zuvor die rechtswidrige Kündigung vom Tisch komme.

Nun wird es vorerst weder in der Metall – noch in der Stahlindustrie Ostdeutschlands Verhandlungen geben. Die Tarifkommission der IG Metall in Berlin-Brandenburg hatte vorgestern beschlossen, für den Fall der Kündigung im Stahlbereich sofort mit Warnstreiks zu antworten. Warnstreiks hat die Gewerkschaft auch für die ostdeutsche Metallindustrie angekündigt. Bis Ostern dürfte es nicht zu einer Einigung kommen. Wie die Kontrahenten wieder an den Verhandlungstisch kommen könnten, ist unklar. Der ostdeutschen Metall- und Stahlindustrie steht ein heißer April bevor. Martin Kempe

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