Geplante Zufallsbekanntschaften

Der Musiker und Mathematiker Günter Heinz und das 2. „Festival Frei Improvisierter Musik“  ■ Von Anna-Bianca Krause

Neugier und Risikobereitschaft sind im Musikbusiness ebensowenig gefragt wie beim Publikum beliebt. Die Wiedererkennbarkeit musikalischer Strukturen garantiert gesteigerte Verkaufszahlen und volle Häuser. Daß Musik aber ohne Experimente und den Schritt in uneroberte Gebiete, ohne die Wechselwirkung mit anderen Künsten, auf Dauer zu einer vielleicht kuscheligen, aber leeren Hülse wird, dieser Beweis ist längst erbracht. Der Ostberliner Musiker Günter Heinz, seit Jahren eine innovative Größe der DDR-Jazzszene, setzt nicht nur seine eigene Arbeit dagegen, er hat 1992 auch ein Festival ins Leben gerufen, mit dem er gezielt Risiken eingeht. Ohne je zuvor Organisator gewesen zu sein, hat der studierte Mathematiker und virtuose Posaunist seine Ideen – von der Überwindung musikalischer Grenzen und dem verantwortungsbewußten Umgang mit den neugewonnenen Möglichkeiten – in ein dreitägiges Programm frei improvisierter Musik gesteckt. Konzerte, Workshops und ein Roundtable-Gespräch sollen im Podewil die angestrebten musikalischen Querverbindungen und den Ausbruch aus bestehenden Kategorisierungen demonstrieren. Herausragend dabei der Sonntag abend, der sich geographisch zwischen Sardinien und Skandinavien bewegt und – was eine Berliner Festivalrarität ist – einige Musikerinnen aufbietet, wie die junge, äußerst lebhafte Percussionistin Robyn Schulkowsky, die dänische Drummerin Benita Haastrup und die niederländische Flötistin Anne Le Berge.

Jazz hatte in der ehemaligen DDR einen viel größeren Freiraum als Rock, die Szene war präsent, das Publikum groß, viele Musiker konnten ihr Renommee im Ausland aufpolieren. Besonders Free-Jazz und Improvisationen spielten eine wesentlich größere Rolle als im Westen, wo diese Bereiche stets nur die Ohren eines Fachpublikums fanden. Doch die Wiedervereinigung hat auch hier für Veränderungen gesorgt. Ein Gespräch mit Günter Heinz.

Günter Heinz: Für mich persönlich hat sich kaum etwas verändert. In Westberlin ist für mich eigentlich kein Veranstaltungsort dazugekommen. Ich habe ein paarmal im Flöz gespielt, weil wir gehört hatten, daß sei „der“ Jazzclub in Westberlin – aber das ist halt 20 Jahre her. Generell hat sich eines stark verändert: Früher war es möglich, als Jazzmusiker nur von den Clubs in Ostberlin zu leben. Es wurde so einigermaßen bezahlt und besucht, durch die gesellschaftliche Rolle, die diese Musik gespielt hat...

taz: Der Besuch dieser Konzerte ist sehr zurückgegangen...

Ich habe trotzdem das Gefühl, daß wir die Talsohle schon durchschritten haben. Das Interesse ist schon wieder größer geworden.

Welche gesellschaftliche Rolle hat der Jazz denn gespielt?

Sehr stark war ja der Free-Jazz. Für junge Leute war das eine Möglichkeit, sich mit der Intensität dieser Musik zu identifizieren. Zudem konnten im Jazz schon in der DDR Musiker aus Ost und West zusammenkommen; westliche Popmusik konnte man dagegen nie live erleben. Im Jazz war die Offenheit größer, was natürlich auch damit zu tun hat, daß die Musik nicht an Texten festzumachen war. Und vielleicht lag es auch daran, daß irgendwo in der Kulturpolitik ein Gönner saß, der die Musik einfach gemocht hat.

Was ist der Unterschied zwischen improvisierter und frei improvisierter Musik?

Improvisation kann man in sehr vielen Bereichen erleben, selbst manche Kompositionen von Bach sind im Ursprung Improvisation. Da würde ein Musikwissenschaftler jetzt vielleicht protestieren, aber jeder Kirchenmusiker lernt das Improvisieren über Choräle, auf einer bestehenden Komposition oder Melodie. Der Free-Jazz hat damit angefangen, die Dinge aufzubrechen, die Rhythmen, die Harmonien, da hat die frei improvisierte Musik auch ihre Wurzeln. Schemata oder vorgegebene Rhythmen spielen keine Rolle mehr, die Musik entsteht völlig frei erst auf der Bühne. Der Begriff des Instant Composing hat sich eingebürgert, es wird komponiert, während man spielt.

Ist der Einsteig in die frei improvisierte Musik für „Laien“ schwer?

Trainierte Ohren sind nützlich, aber die Musik ist auch für alle anderen verstehbar. Es sind natürliche Dinge, die da passieren. Wer nicht jahrelang RIAS 2 gehört hat und eine gewisse Lebensoffenheit hat, kann das erleben.

Welches sind die spannendsten Momente im Konzert?

In diesem Jahr mit Sicherheit die Begegnung zwischen dem französischen Posaunisten Vinko Globokar und dem deutschen Percussionisten Gottfried Röszler. Die beiden lernen sich erst einen Tag vorher kennen. Ich habe mit beiden Musikern gesprochen und sie vertrauen mir, wenn ich sage, daß sie zusammenpassen.

Freitag, 2.4., 20 Uhr: Sibylle Pomorin Trio – S. Pomorin (fl, sax, elec), D; Christoph Winckel (b) D; Jason Kahn (perc), USA – Stephen Montague (elec), GB; Philip Mead (p), GB – Structures: Günter Heinz (tb), D; Bernd Köppen (p), D; Kent Carter (b), USA; Bill Elgart (dr), USA – Open space: Ad-hoc- Formationen.

Samstag, 3.4., 20 Uhr: Peter K. Frey (b, voc), CH; Alfred Zimmerlin (vc, elec), CH – Vinko Globokar (tb), F; Gottfried Röszler (perc), D – Denis-Colin-Trio (F): Pablo Cueco (zarp), Didier Petit (vc), Denis Colin (bcl) – Open space: Ad-hoc-Formationen.