„Die Krauses: Leute wie du und ich“

Ein Dorf mit reetgedeckten Datschen und pompösen Landsitzen, ein CDU-dominierter Gemeinderat und der Traum vom „Aufschwung Ost“: Börgerende, die Heimat des Affären-Minsters  ■ von Bascha Mika

Es war einmal ein Dorf, das hatte einen Minister. Das Dorf war an der Ostsee und wollte schon immer ein bißchen mehr als viele andere. Der Minister war in der CDU und wollte schon immer ein bißchen höher hinaus als viele andere. Und so gedachten sie, sich beizustehen in guten und in schlechten Tagen. Die Tage sind schlecht; im Dorf bläst es kühl über den Deich und dem Minister kalt ins Gesicht. Der hat inzwischen den Beinamen „Affären-Krause“ – und manches, was ihm angehängt wird, hängt auch an seinem Dorf Börgerende. Das ist ein hübscher Flecken mit rund 300 Einwohnern: eine lange Straße, links und rechts reetgedeckte Katen und Häuser im nordischen Großbauernstil, dahinter nichts als naturgeschütztes Gelände und die See.

Die Oma

Die Oma räumt gerade Alpenveilchen vom Fensterbrett, damit der Opa das Fenster besser putzen kann. „Ja“, sagt die runzlige Frau, „da kommt so ein junger Bengel wie der Krause daher und noch dazu aus'm Osten. Ist doch kein Wunder, daß die im Westen den weg haben wollen.“

„Na, das mit der Putzfrau ist natürlich 'ne Schweinerei“, unterbricht der Alte, „aber doch keine politische Affäre.“ „Die Kinder und auch Frau Krause grüßen immer ganz freundlich“, stellt die Oma zufrieden fest.

Der 39jährige Verkehrsminister Krause – „ist intelligent, aber nicht klug“ (O-Ton aus der CDU) – lebt gleich schräg gegenüber. Erst seit den siebziger Jahren, die Familie seiner Frau bereits seit Urzeiten. Ein weiß umzäuntes Grundstück, darauf das reetgedeckte Ministerheim, das Backsteinhaus der Schwiegereltern Boldt und eine große, ausgebaute Scheune mit den Büroräumen der Immobilienfirma Heimbau Nordost GmbH. „Der alte Boldt ist nicht ohne“, heißt es im Dorf. Bäurisch-schlau auf seinen Vorteil bedacht und durchsetzungsfähig. Seine Tochter Heidrun hat viel von ihm geerbt. Eine große, kräftige Frau, die weiß, was sie will, der aber viele die Ministergattin nicht zutrauen.

Land ist das größte Kapital der Börgerender. Die meisten ehemaligen Bauern haben um die zehn Hektar, Boldts besitzen an die 30. Sie wurden in den DDR-Zeiten zwangskollektiviert und nach der Wende zurückgegeben. Doch mit der Landwirtschaft ist es vorbei. Gewinn bringt der Boden, wenn man ihn als Bauland verkaufen kann. Selbst unerschlossenes Gebiet wird hier mit 50 bis 60 Mark pro Quadratmeter gehandelt, es sollen aber auch schon 200 von Interessenten geboten worden sein.

Der Postler

„Bei diesen Preisen kann der Ostmensch einpacken“, sagt der Postler in seiner Amtsstube. „Wer von uns kann sich das denn leisten? Wir werden eingesackt und plattgemacht. Krause versucht als einziger für uns was zu tun. Wenn er dabei auch an sich denkt – das machen doch jetzt alle. Das ist doch Marktwirtschaft.“

In Börgerende zu wohnen, war schon zu sozialistischen Zeiten ein Privileg. Wer nicht aus dieser Gegend stammte, mußte sich verdient gemacht haben im Arbeiter- und Bauern-Staat. Es gab jede Menge Datschen und Ferienheime. Die Einheimischen arbeiteten in den LPGs und verdienten sich gutes Geld dazu, indem sie Privatzimmer vermieteten. Das tun sie auch heute noch, aber der Tourismus blüht nicht mehr. Wo früher 3000 bis 4000 Urlauber übers Jahr verteilt die See genossen, kommen jetzt noch einige hundert im Sommer, ansonsten ist tote Hose.

Die Kauffrau

In „Ursulas kleinem Laden“ – Lebensmittel, Getränke, Fleisch- und Wurstwaren – ist die Kauffrau gerade beim „Menschlichen“ angelangt. „Die Krauses sind doch ganz vernünftige Leute wie du und ich, wenn sie hier einkaufen kommen“, ereifert sie sich und vergißt dabei sogar ihre Kunden. „Ich sage immer, das ist eine Kampagne, weil er der einzige Ostminister ist. Jeder kann doch mal einen Fehler machen.“

Davon haben auch die Börgerender schon einige hinter sich. In den Aufbruchszeiten der Wende verfielen die Dorfbewohner dem Goldrausch. Angestachelt von dem Macher des Einheitsvertrags, Günter Krause und einem dubiosen West-Geschäftsmann, träumten sie von einem riesigen Freizeitpark vor ihrer Haustür. Der sollte alles bieten, was ein Touristenherz begehrt und nebenbei die Boldt- Grundstücke gewinnbringend verwerten. Im Gemeinderat waren die drei FDPler und sechs CDUler – von denen der alte Boldt der Vorsitzende ist und auch noch im Bauausschuß sitzt – völlig begeistert.

Der Pfarrer

Der geistliche Beistand des Ortes, Eckhard Prill, der über eine eigene Liste gewählt worden war, leistete offenen Widerstand. „Das ist Größenwahn, hab' ich schon damals gesagt. Krause hat davon gesprochen, daß wir 80 Prozent Fördermittel bekommen könnten. Ich hab' das weder geglaubt, noch für richtig gehalten.“ Prill wurde zum Buhmann, der den glorreichen Aufschwung der Gemeinde verhindern wollte. „Solche Beschimpfungen hab' ich während der gesamten DDR-Zeit nicht erlebt. Ich hab' einen Anruf bekommen: ,Du bist die schlimme Sau, der wir mal im Dunkeln auf die Fressse hauen müssen‘.“ Das Dorf war gespalten und völlig in Aufruhr. Zu Weihnachten 1991 kündigte Krause dem Pfarrer die Schäfchengefolgschaft und ging fortan in eine andere Kirche.

Das ganze Theater war völlig umsonst, denn schon bald wurde klar, daß das Riesenprojekt von den zuständigen Stellen nie genehmigt werden würde. Doch schon im Frühjahr 1992 gab es eine neue Idee. „Sie kam diesmal direkt von Krause“, erinnert sich Prill, „aber er hat viele Ideen, die vielleicht nicht so richtig durchdacht sind.“ Statt auf 370 Hektar sollte jetzt ein kleineres Vorhaben auf 110 Hektar entstehen, schlug der Schaumschläger von Börgerende vor. Der Gemeinderat stimmte geschlossen dafür. Aber auch dieses Projekt ging baden. Warum, kann niemand erklären. Seitdem sind die Dorfbewohner völlig frustriert und verweisen auf ihre 30 Prozent Arbeitslosen. „Hier passiert doch nichts“, ist ihr Lieblingssatz. Den „Aufschwung Ost“ glauben sie in den umliegenden Gemeinden, nur nicht in Börgerende entdeckt zu haben und geben dem lahmen und zerstrittenen Gemeinderat die Schuld. Der wiederum, soweit er christdemokratisch ist, sieht die Bremser im CDU-dominierten Landratsamt Bad Doberan und der dortigen Kreisverwaltung.

Der Lokalpatriot

Auf den Gedanken, Krause für die Seifenblasen mitverantwortlich zu machen, kommt niemand. Auch nicht der Lokalpatriot. Der hißt gerade die rindsköpfige Mecklenburg-Fahne in seinem Garten, und damit es nicht so piefig aussieht, zieht er anschließend noch eine Europa-Flagge auf. „Natürlich haben die Leute große Hoffnungen auf den Minister gesetzt. Auch wenn er in der Gemeinde überhaupt keine politische Funktion hat.“ Er sei der einzige rührige Ostpolitiker, presche zwar manchmal vor, aber das mache ja nichts, denn gebremst würde genug. Außerdem sei der Herr Minister ganz natürlich, sagt der Jungsche, der in Rostock studiert. Aber ob das Dorf hinter ihm stünde? „Die Leute behaupten es zwar, aber viele sind neidisch auf Krause, vor allem wegen seiner neuen Villa.“

Der Makler

Wenn es um die Familie Krause geht, schlägt das gesunde Volksempfinden der Börgerender voll durch. Das mittelprächtige Eigenheim, die vom Arbeitsamt mitfinanzierte Putzfrau und der 16jährige, jeepfahrende Sohn ärgern sie. Krause/Boldts Immobiliengeschäfte lassen sie kalt. Ganz anders ist es bei der Heimbau Nordost, die das als „Goldacker“ in die Schlagzeilen geratene Grundstück der Familie gekauft hat. „Ich find das nicht gut, als Knüppel gebraucht zu werden, um einen Politiker abzusägen“, beschwert sich Makler Mittag, der mit dunkelgeränderten Augen und völlig hippelig in seinem modernen Büro sitzt. Er ist als einer von zwei Westlern bei der Ostfirma angestellt. „Und natürlich haben wir Angst“, ergänzt sein Kollege Dankert, „mit Krause zusammen runtergerissen zu werden. Das Umfeld ist schließlich auch betroffen.“

Immerhin ist die Heimbau im Baugewerbe von Mecklenburg- Vorpommern der größte Ostbetrieb mit einem Bauvolumen von 350 Millionen Mark. Hinter Spekulationen, sie könne mit dem Minister gemauschelt haben, vermutet die Heimbau nur üble Machenschaften der Konkurrenz. „Die wollen eine junge aufstrebende Ostfirma kaputtmachen.“ Für die überraschend schnelle Abwicklung aller Formalitäten in Zusammenhang mit dem Grundstücksverkauf und den Baugenehmigungen hat Dankert eine einfache Erklärung: „Wir machen Druck und sind rührig. Aber legal rührig. Wir machen unsere Schulaufgaben und handeln nicht über den Minister.“

Der Bürgermeister

Auch der Bürgermeister des Ortes, Siegfried Baumgardt, vom Neuen Forum, will vom Ministerbonus des Dorfes nichts hören: „Ich geh' doch nicht in Gemeindeangelegenheiten bei ihm betteln, wie manche anderen.“ Der bärtige Baumgardt ist nicht gerade ein Krause-Freund, behauptet allerdings ebenfalls, daß bei der Grundstückstransaktion alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Das Wichtigste für den Bürgermeister ist, daß im Dorf etwas bewegt wird. Doch wenn die mit Krause eng verbundene Heimbau ihre Finger dabei im Spiel hat, ist ihm nicht wohl.

Die Heimbau verweist bei ihren Geschäften in Börgerende gar auf ihr soziales Gewissen. Die Maklerfirma hat Mehrheitsanteile an der Betreiberfirma des ehemaligen FDGB-Ferienheims gekauft, will bald von der Treuhand auch die Immobilie erwerben und hat ein Auge auf das danebenliegende Grundstück geworfen. „Wir geben Geld und halten die Rübe hin, um den größten Arbeitgeber hier am Ort zu erhalten“, sagt Mitarbeiter Dankert stolz. Daß die Heimbau nach dem Erwerb der Betreiberanteile erstmal Leute entlassen hat, sagt er nicht.

Das Mißtrauen gegenüber seiner Firma führt Dankert auf die schlechten Erfahrungen der Dorfleute mit den anderen Projekten zurück. „Wenn ich sofort demonstrieren könnte, daß ich es ernst meine mit der Unterstützung des Ortes, wäre die Stimmung ganz anders.“ Da hat er vielleicht noch nicht einmal unrecht. Die Börgerender glauben ja praktisch jedem, der ihnen und ihrem Flecken goldene Zeiten verspricht. Da war einmal ein Dorf, das hatte einen Minister. Und wenn der nicht gefeuert wird...