Die Rückkehr der Junker

Der späte Verrat des Helmut Kohl an Gorbatschow: Großgrundbesitzer, die vor 1949 enteignet wurden, bekommen ihr Land jetzt doch zurück  ■ Von Jantje Hannover

Der größte Bodentransfer in der Geschichte Deutschlands geschieht weitgehend unbemerkt. Obwohl im Einigungsvertrag ausgeschlossen und vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, sind die vor 1949 in der sowjetischen Besatzungszone enteigneten Großgrundbesitzer auf breiter Front dabei, sich ihre Ländereien wieder anzueignen. Objekt der Begehrlichkeit sind die zu DDR-Zeiten volkseigenen Güter und landwirtschaftliche Flächen der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften), zirka zwei Millionen Hektar. Zuständig für die Verpachtung und den späteren Verkauf des Landes ist die Treuhand, die eine Tochtergesellschaft, die BVVG (Bodenverwertungs und -verwaltungsgesellschaft) mit der Abwicklung beauftragt hat.

Zur Unterstützung der von den Sowjets zwischen 1945 und 1949 enteigneten Junkerfamilien hat die Bundesregierung zwei Instrumente geschaffen, die bereits jetzt wirksam werden. Das ist zum einen der in dieser Woche im Kabinett verabschiedete Entschädigungsgesetz-Entwurf. Ein Bestandteil ist eine Bestimmung über „Ausgleichsleistungen“, nach der die früheren Großgrundbesitzer genausoviel Geld als Ausgleichszahlung bekommen wie die später enteigneten Bauern. Möchte einer der früheren Besitzer seine Ausgleichszahlung jedoch in einen Teilrückkauf seines früheren Anwesens investieren, wird er gegenüber anderen Interessenten bevorzugt.

Bereits im Vorfeld des Gesetzentwurfs hatte zudem die Treuhand eine Handlungsanweisung aus dem Kanzleramt erhalten, das sogenannte Bohl-Papier. Eine Prioritätenliste sichert darin sogenannten Wiedereinrichtern und ortsansässigen Neueinrichtern das Pachtrecht vor den Genossenschaften. Hinter der nebulösen Wortschöpfung „Wiedereinrichter“ verbirgt sich zumeist der Alteigentümer des vormals enteigneten Landes.

Ein später Verrat an dem Kohl- Freund Michail Gorbatschow: Der hatte 1990 den Zwei-plus-vier- Vertrag unter der Bedingung unterschrieben, daß die Bodenreform in der ehemaligen DDR nicht rückgängig gemacht wird. Zwischen 1945 und 1949 war in erster Linie Großgrundbesitz ab 100 Hektar aufwärts enteignet worden. Dazu der letzte Regierungschef der DDR, Lothar de Maizière: „Die Sowjetunion wollte gesichert wissen, daß die von ihnen als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs getroffenen Maßnahmen nicht erneut zur Diskussion stehen.“

Im ersten freigewählten Parlament der DDR von 1990 herrschte Einmütigkeit von der PDS bis zur CDU, daß die Bodenreform Bestand haben solle. Im selben Jahr hatte die Volkskammer auch den Verkauf und die Verpachtung des volkseigenen Bodens in einem Gesetz geregelt. Dabei wurde eine Reihenfolge vorgegeben: an erster Stelle sollten die existierenden Genossenschaften als zukünftige Käufer und Pächter bedient werden. An zweiter Stelle Genossenschaftsmitglieder, und erst danach andere BürgerInnen.

Das Anliegen der damaligen DDR-Regierung war, die Interessen ihrer marktwirtschaftlich unerfahrenen Landbevölkerung vor dem westlichen Zugriff zu schützen. In der gemeinsamen Erklärung der Regierung der DDR und der Bundesregierung zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion heißt es unter Ziffer 1: „Die Bundesregierung nimmt zur Kenntnis, daß sich die DDR außerstande sieht, die Ergebnisse der Bodenreform zu revidieren.“

In dem Bohl-Papier wird die von der Volkskammer vorgeschlagene Reihenfolge also auf den Kopf gestellt. Die darin bevorzugten einstigen Großgrundbesitzer haben längst im Westen neue Existenzen aufgebaut und stammen nicht selten aus alten Adelsfamilien. Nicht ganz zufällig ist einer der drei Geschäftsführer der für die Vergabe der Pacht- und Kaufverträge zuständigen BVVG ein Herr von Stauffenberg.

Pluspunkt für die Treuhand: Die Reihenfolge bei der Landvergabe tritt nur bei einem gleichwertigen Betriebskonzept der Bewerber in Kraft. In seitenlangen Anträgen muß jeder Pachtinteressent der BVVG ein Modell des geplanten Betriebs präsentieren, bei konkurrierenden Anträgen entscheidet die Kreisempfehlungskommission. Außerdem muß die Existenz bereits bestehender Betriebe gesichert sein. Wieviel Landentnahme eine Genossenschaft verkraften kann, bleibt allerdings unklar.

Der eigentliche Verkauf des Bodens soll erst 1995/96 anlaufen. Dabei sehen die Chancen für die LPG-Nachfolgeunternehmen schlecht aus. Am „Landerwerbs- und Siedlungsprogramm“ aus dem Bohl-Papier können nur „natürliche Personen“, sprich Privatbauern, teilnehmen. Genossenschaftsmitglieder müssen also als persönlich haftende Gesellschafter Land auf ihren eigenen Namen erwerben.

Damit entgeht der Genossenschaft als Betrieb eine wichtige öffentliche Förderung: Bei Krediten, die für das Siedlungsprogramm aufgenommen wurden, berappt die Staatskasse die Zinsen sowie Teile der Abzahlung.

Die überwältigende Mehrheit der ehemaligen Genossenschaftsmitglieder ist seit der Wende arbeitslos. Trotzdem arbeiten 80 Prozent der heute noch in der Landwirtschaft Beschäftigten in den Nachfolgebetrieben und möchten dort vorerst auch bleiben. Im Agrarbericht 1993 hebt Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) hervor, daß „Einzelunternehmen und Personengesellschaften“ (sprich Genossenschaften) aus den neuen Ländern mit ihren größeren Anbauflächen die besten Gewinne erzielt hätten. Das naheliegendste Argument gegen die LPG-Nachfolgeorganisationen, sie könnten nicht wirtschaftlich produzieren, ist damit widerlegt. Im Kreis Prenzlau ist 60 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ehemaliger Großgrundbesitz. Ein Teil davon wird bereits wieder von den Gutsherren bewirtschaftet. Der Landwirtschaftsdezernent von Prenzlau: „Wenn der Alteigentümer kommt, geht die Produktion zurück. Mir ist kein Betrieb bekannt, der nach der Übernahme durch die alten Herren besser funktioniert hätte.“

Wer bislang gedacht hat, mit Landwirtschaft sei nichts zu verdienen, muß sich schnell eines Besseren belehren lassen. Ökonomisch sind die alten Besitztümer außerordentlich interessant: Zwischen 1.000 und 8.000 DM kostet der Hektar in Ostdeutschland. Mit Stillegungsprämien oder subventioniertem Rapsanbau (in Ostdeutschland Jahr für Jahr 700 beziehungsweise 1.000 DM pro Hektar) hat so mancher frischgebackene Großagrarier in wenigen Jahren ein Millionengeschäft ganz nebenbei gemacht.