Warnstreiks an der Ostseeküste

■ Metaller setzen ihre Aktionen gegen die Aufkündigung des Tarifvertrags in Ostdeutschland auf den Werften fort / Warnung vor einer ähnlichen Entwicklung auch in Westdeutschland

Rostock/Stuttgart (dpa/AP/taz) Mehr als 20.000 Arbeitnehmer aus rund 50 Betrieben in Mecklenburg-Vorpommern haben gestern die Warnstreiks in der ostdeutschen Metall- und Stahlindustrie fortgesetzt. Schwerpunkte der Protestaktionen in der Metall- und Elektrobranche des Landes an der Ostseeküste gegen die Tarifvertragskündigung der Arbeitgeber waren die Werftenstandorte Rostock, Stralsund und Wolgast, wie die IG Metall Küste in Rostock mitteilte. Am Donnerstag hatten sich bereits rund 90.000 Beschäftigte an den Warnstreiks im Osten beteiligt.

Bezirksleiter Frank Teichmüller sprach während einer Kundgebung vor der Rostocker Neptunwerft, zu der allein etwa 5.000 Beschäftigte aus elf Rostocker Betrieben gekommen waren, vom Beginn eines massiven Arbeitskampfes, sofern der Arbeitgeberverband Metall nicht einlenke. „Es geht heute nicht um Tarifverträge in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Sachsen, es geht um die Verträge in ganz Deutschland“, betonte er.

Die Beschäftigten wollen mit ihren Aktionen den Arbeitgeberverband Metall zur Einhaltung des vor zwei Jahren ausgehandelten Tarifstufenplans zwingen, der eine Lohnerhöhung von 26 Prozent zum 1. April vorsieht. Die Arbeitgeber sind lediglich bereit, einen Inflationsausgleich von neun Prozent zu zahlen.

Indessen rief die IG Metall in der sächsischen Metall- und Elektroindustrie zu weiteren Warnstreiks nach Ostern auf. „Sollte es kein Einlenken der Arbeitgeber geben, sind am 15. und 16. April erneut Warnstreiks“, sagte der Verhandlungsführer der IG Metall Sachsen, Heribert Karch.

Auch in der baden-württembergischen Metallindustrie wollen zahlreiche Firmen die ab 1. April geltende dreiprozentige Tariferhöhung auf bisher gewährte übertarifliche Zulagen anrechnen. IG- Metall-Bezirksleiter Walter Riester meinte gestern in Stuttgart, daß nach Schätzungen seiner Gewerkschaft rund ein Drittel der über eine Million Metallarbeitnehmer im Südwesten von dieser Maßnahme betroffen seien.

DGB will staatliche Lohnsubventionen

Düsseldorf (taz) – DGB-Chef Heinz Werner Meyer hat staatliche Lohnsubventionen für unrentable Betriebe in Ostdeutschland gefordert, um weitere Firmenzusammenbrüche zu verhindern und die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte in den Westen zu stoppen. Meyer sagte gestern in Düsseldorf, wenn derzeit Unternehmensinvestitionen im Osten „mit bis zu 50 Prozent öffentlich subventioniert werden, dann brauchen wir gleiche Regelungen für die Lohnseite“.

Der DGB-Chef räumte ein, daß viele der ehemaligen DDR-Firmen mit der Zahlung der Tariflöhne derzeit wirtschaftlich überfordert seien. Andererseits gebe es zu den geltenden Tarifverträgen keine Alternative, wenn die qualifizierten Arbeitskräfte im Osten gehalten werden sollen. Nach der Überzeugung von Meyer werden die meisten Unternehmen im Osten „den Weg in den freien Markt und die Wettbewerbsstruktur“ nur finden, wenn sie in den kommenden Jahren staatliche Lohnsubventionen erhielten. Er habe diese Forderung zuletzt wiederholt in vertraulichen Gesprächen mit Bundeskanzler Kohl erhoben. „Aber das Echo im politischen Raum ist null“, beklagte der DGB-Vorsitzende.

Meyer kündigte für die Woche vom 19. bis 24. April im gesamten Bundesgebiet gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen gegen die Aufkündigung laufender Tarifverträge durch die Arbeitgeber an. Der DGB-Chef warf den Arbeitgebern vor, ihre unrechtmäßige Aufkündigung der Tarifverträge in Ostdeutschland mit einer „durchschaubaren politischen Notlüge“ zu begründen. Die von den Unternehmern geltend gemachte „unvorhersehbare ökonomische Notsituation“ sei von seriösen Wirtschaftsforschungsinstituten bereits im Jahre 1991 prognostiziert worden.

Unterdessen räumte die DGB- Spitze erstmals ein, daß die Gewerkschaften in Ostdeutschland in den letzten Monaten massenhafte Mitgliederverluste hinnehmen mußten. Unmittelbar nach der Wende hatten sich nach DGB-Angaben etwa 50 Prozent aller Arbeitnehmer in der früheren DDR, rund 4,8 Millionen Beschäftigte, gewerkschaftlich organisiert. Meyer erklärte auf Nachfragen, „natürlich gab es einen Massenexodus“. Dies hänge allerdings mit der wachsenden Erwerbsund Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland zusammen. Johannes Nitschmann