Problem Drogenstrich bleibt — „ob wir intervenieren oder nicht“

■ Wie erfolgreich war das Senatskonzept zur Zerschlagung des Drogenstrichs? Guus van der Upwich und Gert Schöfer im taz-Gespräch

„Erst wurde der Strich geschlossen, dann passierte gar nichts mehr.“

Das war das Fazit, das zwei Drogenarbeiterinnen und eine substituierte Drogenabhängige im taz-Gespräch (vgl. taz vom 29.3.) nach der Zerschlagung des Drogenstrichs im November 1992 gezogen haben.

Heute beziehen der Bremer Landesdrogenbeauftragte, Guus van der Upwich, und der Referent für Psychiatrie, Sucht und Aids bei der Gesundheitssenatorin, Dr. Gert Schöfer, Stellung zu diesem Thema: Wie erfolgreich ist das Senatskonzept zur Zerschlagung des Drogenstrichs gewesen?

Seit November wird vom Innensenator der repressive Teil des Senatskonzept zur Zerschlagung des Drogenstrichs in der Friesenstraße umgesetzt. Die 40 zusätzlichen Plätze im Methadonprogramm sind besetzt, der Strich besteht nach wie vor. Herr van der Upwich: Die Frauen, die da jetzt noch stehen, sind das die Zu-spät-Gekommenen, die das Leben bestraft?

Guus van der Upwich: Die Frauen,die wir nicht ins Methadon-Programm aufgenommen haben, sind wegen unserer geringen finanziellen Möglichkeiten außen vor geblieben. Aber das ist nicht nur beim Polamidon- Programm so, das ist bei allen Programmen so. Wir haben nicht genügend Betten, um jemanden innerhalb von 24 Stunden in einer Therapie unterzu

hier den Mann, der sich

am Kopf kratzt

Dr. Gert Schöfer, Referent für Psychiatrie, Sucht und Aids:

„Niemand sieht, wie schnell das Methadonprogramm in die Gänge gekommen ist.“Foto: Tristan Vankann

bringen, das scheitert einfach an finanziellen Rahmenbedingungen. Dr. Schöfer kann da vielleicht mehr zu sagen. Es ist aber abwegig zu meinen, daß wir alle Probleme, die wir in der Gesellschaft haben, auf Null lösen können. Fest steht: Wir können nicht jedem Drogenabhängigen sofort helfen.

Gert Schöfer: Das Methadonprogramm für Frauen ist nicht aufgelegt worden, um alle drogenabhängigen Frauen, die auf den Strich gehen, zu versorgen. Das Programm ist bereits im letzten Sommer beschlossen worden, und wegen der finanziellen Möglichkeiten haben wir eben auch eine gewisse Größenordnung festlegen müssen. Was ich beklage: Niemand sieht, wie schnell das Programm eigentlich in die Gänge gekommen ist. Es sei denn, Sie verstehen als Polamidon-Programm lediglich die Vergabe von Polamidon mit der Gießkanne oder so etwas. Wir haben innerhalb kurzer Zeit ein Betreuungsteam aufgebaut, eine Ärtzin hauptamtlich dafür eingestellt, seit dem 1. Januar läuft das Programm mit 36 Frauen. Wenn man von Programm redet, muß man sehen, daß man von einem drumherum reden muß. Es hilft uns nichts, wenn wir jetzt mit der Polamidonflasche durch's Viertel gehen und jedem Polamidon geben.

Da lagen dann aber von Anfang November an bis zum Jahresbeginn acht Wochen zwischen, in denen gar nichts passiert ist. Warum ist das Programm nicht Hand in Hand mit den Repressionsmaßnahmen des Innensenators gelaufen?

Gert Schöfer: Die Senatsentscheidung können wir nicht beeinflussen. Der Senat hat eine politische Entscheidung getroffen. Was die Verwaltung machen kann, ist zu versuchen, diese Entscheidung so schnell wie möglich umzusetzen. Und das haben wir getan. Acht Wochen sind für mich wirklich ein kleiner Zeitraum, um so ein Programm umzusetzen. Da bin ich sehr stolz drauf.

Guus van der Upwich: Uns wird immer dieser Vorwurf der Nicht-Zeitgleichheit gemacht. Ich weiß, daß eine Unzahl von Polizisten enorm viele Überstunden leisten. Das ist ein

großes Problem. Trotzdem ist die verwaltungsmäßige Umsetzung des Senatsbeschlusses für den Polizeipräsidenten, in dem er Polizisten anders zuordnet, ein kleineres Problem, als in eine Konzeptdebatte zu treten und diese Konzepte mit Trägern umzusetzen, Mitarbeiter zu akquirieren und in den Beiräten Zustimmung einholen zu müssen. Das ist unendlich mühsam.

Wie weit ist das Wohnraum- Konzept, das mit ins Drogen- Sofortprogramm des Senats gehörte?

Guus van der Upwich: Da genau ist wieder das Problem: Der Senat beschließt die Einrichtung von 100 Wohnplätzen, und die Verwaltung muß es tun. Wir können nicht einfach hundert Wohnungen aus der Tasche schütteln, sondern da geht ein bürokratischer Prozeß los. Uns müssen Wohnungen genannt werden, wir müssen gucken, wo wir eventuell bauen können, das Planungsmat ist da drin, das Bauamt, und wenn wir dann bestimmte Faktoren zusammen haben, also konkret Objekte, dann müssen wir durch die Beiräte.

Kommt denn die Senatorin, bevor sie mit einer solchen Entscheidung in die Öffentlichkeit geht, nicht erst zu Ihnen und fragt: Können wir das leisten, können wir das versprechen und auch halten?

Guus van der Upwich: Das tut sie, und sie weiß auch, daß wir in der Lage sind, recht kurzfristig Häuser zu bekommen, bis dann die Problematik in den Beiräten losgeht. Nur: Die Senatorin kann sich in politischen Entscheidungen nicht zurückhalten, weil in anderen Bereichen demokratische Prozesse ablaufen, die gesetzlich so geregelt sind. Es würde für sie nur bedeuten, daß sie keine Entscheidung trifft, weil wir die Schwierigkeiten kennen.

Wieviel von den 100 Wohnungen sind denn da?

Guus van der Upwich: Wir haben seit August in Hotels und Pensionen 22 Plätze umsetzen können. Wir haben jetzt im Rahmen des Betreuten Wohnens für diese Frauen 15 Plätze umgesetzt. Und wir haben jetzt 24 Plätze im Container in der Planung und in der ersten Maiwoche fertig. Als Notlösung. Das sind aber für mich keine Wohnplätze. Wir haben Häuser, die wir akquirieren können mit weiteren 24 Plätzen, wo es jetzt noch um vertragliche Schwierigkeiten geht, wo die Beiräte Auflagen gemacht haben: Wir hätten 35 Plätze in Bremen Nord, da war der Beirat dagegen und auch die Deputation. Wir haben ein Grundstück in Woltmershausen, das wir nicht bebauen können — wegen der gleichen Problematik.

Herr Schöfer, Sie sind Referent für Aids: Der Strich ist geblieben, etwas verteilter, aber auch unerreichbarer: Kein Spritzentausch mehr, keine Ausgabe von Präservativen. Das muß sie unter Präventionsgesichtspunkten doch beunruhigen...

Gert Schöfer: Es ist nicht richtig, daß da nichts mehr stattfindet. Es findet eben anders statt als vorher. Erstens haben wir versucht, durch Streetwork sterile Spritzen und Kondome an die Frauen zu bringen, zum Zweiten haben wir immer schon andere Angebote für diese Sachen gehabt, auch im Viertel: Die Drogenhilfeeinrichtungen,..

... die nachts jetzt geschlossen sind...

Gert Schöfer: ... ja, gut, es ist aber wieder die Frage, ob es wünschenwert ist, ein Rund-umdie-Uhr-Angebot auf die Beine zu stellen. Auch der Bus in der Friesenstraße war auf vier Nächte begrenzt, und an den anderen Abenden haben sich die Frauen anderweitig versorgt. Aus aidspräventiver Sicht würde ich mir wünschen, daß die Zugänglichkeit noch erhöht wird, aber man kann nicht sagen, es findet nichts mehr statt. Es ist aber sicher schwieriger geworden, die Frauen zu erreichen.

Wie schätzen Sie denn die Lage in der Friesenstraße und Umgebung derzeit ein?

Gert Schöfer: Die Lageberichte der Streetworker melden: Es sind viele Frauen, die man vorher kannte, dort wieder zu finden, wenn auch nicht so konzentriert. Viele sind da aber eben auch nicht mehr zu finden, die haben wir mit dem Programm herausgezogen. Und drittens: Es gibt neue Frauen auf dem Strich. Das ist aus präventiver Sicht ein Problem: Wir müssen zu diesen Frauen irgendwie den Kontakt herstellen, und zwar nicht in institutionalisierter Angebotsarbeit, und das ist schwierig.

Wie kommen Sie als Drogenbeauftragter an die neuen Frauen heran, Herr van der Upwich?

Guus van der Upwich: Wir kommen an die Frauen heran, wenn wir das zu einem Zeitpunkt tun, an dem sie noch erreichbar sind. Die Frauen werden immer jünger und sind, was die Ausprägungen der Sucht anbelangt, am Anfang ihrer Drogenkarriere noch nicht so verelendet. Allerdings verelenden sie sehr schnell während der Zeit auf dem Strich. Das hat was mit Kontakten zur Szene zu tun, mit Mischkonsum. Es ist vielleicht ein bißchen euphorisch, aber ich meine: Wenn wir die regionalen Beratungsstellen haben, kommen wir an junge Leute ran, an die jungen Frauen, und dann kann man auch vorsorglich arbeiten, daß die nicht abwandern müssen in diese Prostitution.

Von welchen Zahlen gehen Sie zur Zeit aus?

Guus van der Upwich: Wir gehen realistischerweise davon aus, daß sich ein Teil der Frauen, die wir im Programm neu haben, sich eine Zeit lang noch weiter prostituieren wird. Wir wissen; Methadon löst das Problem nicht sofort. Das sind vielleicht zehn Prozent, und für die ist auch das Begleitprogramm. Ich gehe davon aus, daß wir die Hälfte der Frauen, die auf dem Strich waren — man geht da von 80 bis 100 Frauen aus — im Programm erreicht haben. Und wenn ich die Zuwachszahlen der Drogenszene überhaupt angucke, dann muß man sagen: Pro Jahr wachsen etwa zehn Prozent der Population wieder in die Szene hinein. Entsprechend ist das bei der Drogenprostitution. Es kommt auch darauf an, ob die Frauen irgendwie anders an Geld kommen können. Frauen findet man kaum noch in der Kleindealerszene. Das ist eine Männerdomäne. Diese Möglichkeit, an Geld zu kommen, fällt für Frauen aus.

Gibt es denn jetzt noch Maßnahmen für Frauen, die neu auf den Strich gehen und da weg wollen?

Guus van der Upwich: Wenn ich junge Frauen sehe, die in die Prostitutionsszene gehen, 15, 16 Jahre alt, da muß man gut drüber nachdenken, ob man denen Methadon gibt. Da müssen wir ganz andere Maßnahmen ergreifen. Unser Dilemma dabei ist, daß Therapieeinrichtungen sich immer nur an Erwachsene richten. Das heißt: Die Standards sind so, daß Jugendliche und Heranwachsende mit hohen Abbruchquoten durchfallen. Da müssen wir drüber nachdenken, ob wir nicht Jugendwohngemeinschaften oder ähnliches machen.

Gert Schöfer: Wenn die Frauen noch jung sind, ist auch die Motivation sehr schwierig. Selbst wenn wir Angebote für Jugendliche haben, heißt das nicht, daß wir sie dazu bringen können, diese auch anzunehmen. Das wissen wir aus Erfahrung: Es dauert immer ein paar Jahre, bevor man mit denen reden kann.

Was den Strich anbelangt: Ich denke, es ist eine Illusion, zu glauben, daß man das Problem allein auf der Frauenseite lösen kann. Der Drogenstrich ist ein Nachfragemarkt. Wenn wir 40 Frauen da herausnehmen, sinktnicht die Nachfrage. Die bleibt,

hier bitte den Mann

mit Brille

vor dem Plakat

Guus van der Upwich, Bremer Landesdrogenbeauftragter: „Die Leute sterben uns weiter unter den Brücken, während wir Mitbestimmungsprozesse üben in dieser Stadt.“Foto: Christoph Holzapfel

und deshalb stoßen andere in dieses Geschäft hinein.

Guus van der Upwich: Wir müssen davon ausgehen, daß wir dieses Problem einfach haben, ob wir intervenieren oder nicht. Das einzige, was wir tun können, ist, etwas Akzeptables vorzuweisen, wenn Frauen oder auch Männer wirklich aussteigen wollen. Wir merken das in einigen Bereichen, wo wir Dinge anbieten, die einfach nicht angenommen werden.

Niemand ist davon ausgegangen, daß die Drogenproblematik nach dem Senatsbeschluß völlig verschwindet, auch der Innensenator nicht. Aber wir hatten da ein sichtbares Problem, das ist seit November kleiner geworden, das muß man einfach einmal zugeben. Wir haben das Nachfrageproblem, auf das Gert Schöfer schon hingewiesen hat. In der Prostitution an sich liegt nicht das Problem. Man kann nicht erwarten, daß man in einer Großstadt eine Kleinstadtidylle vorfindet. Hier sammelt sich ein Reservoir von Leuten, die diese Prostitution annehmen. Das andere ist, daß wir die Frauen erreichen müssen. Das ist nicht leichter geworden durch dieses Konzept, und nicht umsonst hat unsere Senatorin diesem Konzept nicht zugestimmt.

Wenn Sie heute ihre Stellungnahme für den Senatsbericht abgeben müßten, der im Mai ja vorgelegt werden soll, wie würde ihr Fazit lauten?

Gert Schöfer: Meine Erwartungen sind weitgehend erfüllt worden. An der Strukturierung dieses Marktes wird sich nicht so sehr viel verändern, da gibt es nur verschiedene Ausprägungsformen. Bezüglich der Kontaktherstellung und bezüglich der gesundheitlichen Vorsorge und Versorgung ist es schwieriger geworden. Was die Aids-Prävention angeht: Es ist natürlich immer bedenklich, wenn eine mit besonderen Risiken behaftete Gruppe aus dem Sichtfeld verschwindet. Es sind natürlich die Drogenabhängigen, die dazu beitragen, daß HIV auch an die allgemeine Bevölkerung übergeht. Das trifft für den homosexuellen Bereich viel weniger zu.Und deswegen wird es unsere

Aufgabe sein, wie man in der jetzt veränderten Form des Drogenstriches jetzt Kontakte herstellt, um einen präventiven Ansatz machen zu können.

Guus van der Upwich: Der Senatsbeschluß hat eine Balance im Kopf gehabt, und ein Teil davon ist die gesellschaftsentlastende Wirkung. Ich glaube, die ist eingetreten, sonst hätten wir schon wieder Bürgerinitiativen oder ähnliches. Das war vom Senat in dem Sinne gut gemacht. Auf der anderen Seite der Balance ist die Frage: Was ist für die Frauen dabei herausgekommen?

Unser Programm haben wir unabhängig vom Senatsbeschluß entwickelt. Wir hatten schon vorher gesagt: Wir brauchen ein Methadonprogramm, wir brauchen ein Ausstiegsprogramm, wir brauchen ein Betreutes Wohnprogramm. Und dies wollte die Senatorin unabhängig von einem Strichkonzept vorhalten für diese Frauen, weil sie sagt: Es kann nicht nur darum gehen, die Frauen nachts zu betreuen und einen Bus hinzustellen, wir müssen sehen, daß wir sie aus der Szene rausholen. Daß heißt: Auch diesen Teil bringe ich nicht in Verbindung mit dem Senatsbeschluß.

Bleibt die Frage: Was bringt es für die Frauen, die sich weiter prostituieren, und da sage ich: Da bringt es Nachteile.

Diese Nachteile haben wir damals gesehen und haben damals ein Konzept entwickelt: Verlagerung mit Betreuungsangebot. Ich kann nur sagen, daß ich vermute: Der Senat wird gewußt haben, wie schwer es sein wird, einen Ort zu finden in dieser Stadt, der ohne größere Konflikte die gesammelten Probleme der Friesenstraße aufnimmt. Das ist das Thema, das wir eigentlich überall haben.

Ich plädiere dafür, daß wir in bestimmten Punkten einfach auch konfliktfreudiger werden und Entscheidungen schneller als bisher vorantreiben.

Die Leute sterben uns weiter unter den Brücken, während wir Mitbestimmungsprozesse üben in dieser Stadt. Das kann nicht angehen.

Fragen: Markus Daschner