Stadtmitte: Zeit lassen, sehr viel Zeit
■ Ein Plädoyer, die Spreeinsel frei von Regierungsbauten zu lassen
Ob der Palast der Republik abgerissen werden muß, kann ich nicht beurteilen. Das ist natürlich ein problematischer Bau, und er muß ja auch des Asbests wegen zum großen Teil abgerissen werden. Aber man kann die Fundamente stehen lassen, die sehr schwierig gebaut wurden und sich in einer Wanne befinden. Man könnte an der Stelle vielleicht etwas Neues bauen. Man sollte sich aber auf jeden Fall Zeit lassen, bis uns eine wirklich gute Lösung für diese wichtigste Stelle Berlins einfällt. Der Demokratie als Bauherr sollten wir Zeit lassen – und den Platz bis dahin freihalten von Regierungsbauten. Wir haben ja keine Eile. Jede Überstürzung an dieser Stelle aber wäre nicht zu verantworten.
Ob die Menschen aus der DDR sich mit dem Palast der Republik identifizieren oder ob er stehen bleiben muß, weil dort der Beitritt zur Bundesrepublik beschlossen wurde, will ich unberücksichtigt lassen. Ich habe nur etwas im Sinn: daß wir bei dieser Sache viel Zeit und viel Nachdenken von einer ganzen Reihe von Leuten brauchen. Aus diesem Grunde bin ich in hohem Maße entsetzt darüber, daß der Außenminister, dieser Herr Kinkel, den Palast für sich in Anspruch nimmt und dort bauen will. Er will sich die wichtigste Stelle in der Mitte Berlins am Ende der Straße unter den Linden einfach ein für allemal nehmen und dadurch möglicherweise ganz kaputt machen. Daß diese Entscheidung so schnell geht und dieses auf Grund einer Verabredung von ein paar Leuten, die sich augenblicklich an der Macht befinden, einfach so beschlossen, festgestellt und festgelegt wird, das finde ich ungefähr das Undemokratischste, was ich mir vorstellen kann. Noch undemokratischer ist, daß Herr Kinkel sich empört darüber, daß es deswegen Widerstand gibt.
Für die Bebauung der Spreeinsel habe ich einmal vorgeschlagen, an der Stelle der alten Schloßfassade als Abschluß zur Straße unter den Linden eine ganz leichte, offene Front hinzustellen – möglicherweise nur aus Pfeilern und Bögen bestehend –, die zunächst nur zu einem Garten führt, und sich dann Zeit lassen. Sehr viel Zeit.
Eine Rekonstruktion des Schlosses aber soll damit nicht vorbereitet werden. Ich habe die größte Angst vor einem Wiederaufbau des Schlosses. Eine Rekonstruktion wäre ganz schrecklich, weil man doch bestenfalls nur die Außenfront wiederherstellen könnte und nicht die wunderbaren Höfe und die unendliche Anzahl herrlicher Räume, die das Schloß besaß. Diese Vergangenheit haben wir unwiederbringlich verloren.
Es ist natürlich eine ungeheure Verschwendung, das ehemalige DDR-Außenministerium abzureißen. Aber es ist ein so schrecklicher Bau, und es stört so furchtbar an dieser wichtigen Stelle in der Raumfolge im Forum Fridericianum, daß ich keine andere Möglichkeit sehe: Das muß weg.
Es erleichtert mir diesen Abriß, weil wir damit wieder den Platz für die Bauakademie gewännen. Dieses ist das einzige Gebäude, bei dem selbst ich, der ich strikt gegen Wiederaufbau bin, im Zweifel bin, ob man das nicht doch versuchen könnte, es wieder aufzubauen. Das war ein wunderbares Gebäude; selbst im Werke Schinkels einzig und sein Abriß ein furchtbarer Verlust für die Stadt. Prof. Julius Posener
Der Autor ist Publizist und Architekturhistoriker.
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