■ Press-Schlag
: Die Heldenhaften

Wenn Deutsche früher nach Zentralfrankreich aufbrachen, galt die Neugierde primär dem weltbekannten Weinbaugebiet um das Städtchen Chablis, bekannt für seinen erlesenen und teuren Tropfen. In zwei Wochen, wenn Borussia Dortmund zum Rückspiel im Halbfinale des UEFA-Cups reist, darf es auch ein paar Kilometer weiter westlich sein. Dort liegt das 40.597 Einwohner zählende Auxerre („Commune des Vins“), Hauptstadt des Departements Yonne. Am Rande der verschlafenen Stadt befindet sich gegenüber dem „Camping Municipal“ das 22.000 Zuschauer fassende Stadion „Abbé-Deschamps“, Spielstätte der „Association de Jeunesse Auxerrois“, kurz AJ Auxerre.

Morgen tritt Auxerre im Westfalenstadion zum Hinspiel an (live bei Sat.1). Die Burgunder, seit 32 Jahren (!) von Guy Roux, einem 54jährigen Elsässer, trainiert, haben auf ihrem Weg unter die letzten vier mit Standard Lüttich und Ajax Amsterdam vermeintlich omnipotente Gegner eliminiert. Nach dem Weiterkommen gegen die Niederländer, zuletzt in 16 Europapokal-Spielen hintereinander unbesiegt, titelte L'Equipe: „Die Heldenhaften“, und das während der in Frankreich stark beachteten Handball-WM.

In der französischen Meisterschaft gelang es den Burgundern zwar immer wieder, die Großen aus Bordeaux, Marseille, Paris und Monaco zu kitzeln, aber der große Sprung nach vorn blieb aus. Die Verantwortung für diese „Stagnation“ wurde Guy Roux angelastet, der regelmäßig zu Saisonbeginn in Understatement verfiel und den Klassenerhalt zum Ziel erhob. „Das ist eine persönliche Befriedigung, aber vor allem eine große Freude für die Mannschaft“, frohlockte nach dem Erreichen des Halbfinales Torhüter Bruno Martini nicht von ungefähr. Vor der Saison hatten nämlich die Leitfiguren des Teams, Martini, William Prunier und Christophe Cocard, den Autoritätsanspruch des starrköpfigen Trainers in Frage gestellt und eine ambitioniertere Zielsetzung gefordert. Alles lief optimal, bis ein fataler Winter mit fünf Niederlagen hintereinander die große Ernüchterung brachte. Und beim FC Toulouse schied man auch noch im Pokal aus.

Doch den nationalen Katastrophen folgte das europäische Wunder. Auxerre, das ist eine gelungene Mischung aus erfahrenen Spielern wie Martini, Prunier, dem Tahitianer Pascal Vahirua, Thierry Bonalair und vielversprechenden Talenten. Nicht weniger als zwölf von 22 Spielern des AJ Auxerre kommen aus der eigenen Jugendarbeit, formé au club.

In den ersten Jahren nach dem Aufstieg sorgte der Pole Andrzej Szarmach, einer der besten Spieler der WM 1974 in Deutschland, für Schwung im Angriff. Später taten dies der Ungar Kovacs und der geniale Enzo Scifo, den Inter Mailand in Auxerre geparkt hatte und der vor zwei Jahren zum AC Turin wechselte. Junge Spieler erhalten in Auxerre meist längerfristige Verträge und werden vor deren Ablauf teuer an die Großkopfeten in Marseille, Monaco und Paris verkauft. So geschehen mit Basile Boli (jetzt Olympique Marseille) und Eric Cantona (jetzt Manchester United). Wegen dieser Praxis wird AJ Auxerre zuweilen mit der Mönchengladbacher Borussia zu Weisweilers Zeiten verglichen. Doch dieser Vergleich hinkt. Gladbach war umzingelt von Bundesliga-Konkurrenten. Der nächste Erstligaclub, der FC Paris St.Germain, liegt 155 km von Auxerre entfernt.

Borussia hat an die Burgunder nicht die besten Erinnerungen. Thomas Helmer sollte vor seinem Wechsel zu Bayern München in Auxerre zwischengelagert werden, um eine Klausel in seinem Dortmunder Vertrag zu umgehen, die ihm einen direkten Wechsel zu einem deutschen Klub verbot, doch der ominöse Deal platzte. Aufpassen muß die Abwehr um Michael Schulz vor allem auf den achtfachen Europa-Cup-Torschützen Gérald Baticle und auf Christophe Cocard, der das Spiel in Amsterdam alleine hätte entscheiden können, jedoch sämtliche Chancen vergab. Die Abwehr dirigieren William Prunier und Franck Verlaat, die in einer Mannschaft überragen, die viele an die gute alte Zeit in den 70er Jahren erinnert, an „Les Verts“, den AS St. Etienne. Günter Rohrbacher-List