„Die PLO verliert an Boden“

Die Gespräche mit Israel erscheinen den Palästinensern in den besetzten Gebieten zunehmend sinnlos, da sie an ihrer Lage nichts geändert haben  ■ Von Ludwig Watzal

Die israelisch-arabisch-palästinensischen Friedensverhandlungen quälen sich nun schon seit über einem Jahr ohne greifbares Ergebnis von Runde zu Runde. Während am Friedenswillen der Schamir-Regierung grundsätzliche Zweifel angebracht waren, gilt dies für seinen Nachfolger Jitzhak Rabin so nicht mehr. Dies heißt jedoch keineswegs, daß die Verhandlungen für die arabisch-palästinensische Seite einfacher geworden wären. Ministerpräsident Rabin gibt sich in der Form kulanter, aber in der Sache gilt er als hart und wenig flexibel, wie die völkerrechtswidrige Massendeportation von über 400 Palästinensern in den Südlibanon und die bisherige Verweigerung ihrer Rückkehr gezeigt hat. Ob die Aufhebung des Kontaktsperregesetzes durch die Knesset zu einer Intensivierung der Kontakte mit der PLO führen wird, bleibt abzuwarten. Die geltenden gesetzlichen Regelungen zu diesem Thema sind so dehnbar formuliert, daß eine Kriminalisierung von Kontakten zur PLO weiterhin möglich bleibt.

Für den ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland, Yohanan Meroz, steht es trotz alledem außer Zweifel, daß „die jetzige Regierung mehr für den Friedensprozeß leisten wird als ihre Vorgängerin“. Diese optimistische Beurteilung teilt die Pressesprecherin der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq, Randa Siniora, nicht; sie kann bislang keine generelle Veränderung der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern erkennen. Und was die Möglichkeiten zur Schaffung eines unabhängigen Palästinenserstaates mit der Hauptstadt Ostjerusalem angeht, ist sie äußerst skeptisch.

Aufgrund des Friedensprozesses gibt es erhebliche Spannungen innerhalb der Palästinenser in den besetzten Gebieten. In Gesprächen mit palästinensischen Intellektuellen und anderen BewohnerInnen der besetzten Gebiete wurde deutlich, daß die eigene Verhandlungsdelegation nur mehr geringe Unterstützung bei der Bevölkerung genießt. Viele sind gegen die Friedensgespräche, zum einen, weil sie die Mitglieder der palästinensischen Verhandlungsdelegation nicht als ihre Repräsentanten ansehen, und zum anderen, weil die palästinensischen Unterhändler von den Israelis nicht als gleichwertige Verhandlungspartner behandelt werden. So werfen die Journalisten Mazen Dana und Bassam Schweiki aus Hebron den Delegationsmitgliedern vor, von der Fatah unter Führung Jassir Arafats eingesetzt worden zu sein. Die meisten Delegationsmitglieder hätten gemeinsame Interessen mit Israel, den USA und der PLO. Sowohl Arafat als auch der Verhandlungsdelegation fehle die demokratische Legitimation.

Ein palästinensischer Ingenieur, der nicht namentlich genannt sein wollte, wirft der Delegation vor, daß ihre Mitglieder der etablierten, politischen Klasse angehörten, die einen Modus vivendi mit Israel anstrebt. Sie hätten ebenso wie viele Vertreter der PLO „keine Basis“ mehr unter den einfachen Menschen. Die palästinensische Bourgeoisie spreche nicht ihre Sprache, führe ein Luxusleben, repräsentiere vor allem den Geldadel, pflege die Verbindung zu den konservativen Scheichs und tummele sich in den PLO-Vertretungen im Ausland. „Sie leben wie die Maden im Speck. Ihre Interessen haben nichts mit denen der Menschen in der Westbank und im Gaza-Streifen gemein.“

Ein anderer Bewohner der Westbank äußert die Befürchtung, daß es zu einem Volksaufstand gegen die PLO-Führung kommen könne, wenn sich ihr Verhalten nicht grundsätzlich ändere. Es sei unverständlich, daß die PLO-Führung um Arafat einen solchen Lebensstil zulasse, während Tausende in absoluter Armut lebten. „Die PLO muß fürchten, daß ihr der Boden entzogen wird“, meinte dieser völlig desillusionierte Palästinenser. In der relativ ungebrochenen Machtstellung der alten „guten Familien“, der Husseinis, Nusseibehs und Masris, liege der Grund für die Spannungen zwischen PLO und den Menschen in den besetzten Gebieten. So sei es nicht verwunderlich, wenn sich immer mehr Palästinenser der Verweigerungsfront um George Habasch, Nayef Hawatmeh und der islamistischen Hamas-Bewegung anschlössen.

Gespräche mit Bewohnern der besetzten Gebiete machen deutlich, daß es in der palästinensischen Bevölkerung drei Fraktionen gibt: Die erste Gruppe ist sich der Unzulänglichkeit der örtlichen PLO- Führung bewußt, hält aber den Zeitpunkt für einen Wechsel noch nicht für gekommen. Ein interner Aufstand würde nur den Israelis nutzen und Arafats Autorität völlig untergraben. „Dies wäre ein hoher Preis ohne die Garantie, daß die neue Führung besser wäre“, wie ein Bewohner der Stadt Ramallah es formulierte. Eine zweite Gruppe denkt ähnlich: Auch sie hält den PLO-Vorsitzenden Arafat für integer, doch sieht sie in der Distanzierung der PLO von den reichen Ölscheichs ein gutes Zeichen. Das Ausbleiben von finanzieller Unterstützung aus den Golfstaaten werde zu Auseinandersetzungen zwischen den „guten“ Funktionären und den geldgierig auf ihren Vorteil Bedachten führen und einen Prozeß der inneren Reform einleiten.

Eine dritte Gruppierung in den besetzten Gebieten setzt hingegen auf radikale Lösungen. Zu ihr gehören einerseits Personen, die den Islamisten nahestehen, zum anderen Mitglieder der linkssäkularen PLO-internen Opposition gegen Arafats Fatah. Beide werfen der PLO Versagen vor und erwarten eine Veränderung der desolaten Lage entweder von den radikalen islamischen Fundamentalisten, der Hamas-Bewegung und dem „Islamischen Dschihad“, oder von der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ und den beiden Flügeln der „Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas“. Diese beiden Lager der Radikalen gewinnen im dem Maße an Zulauf, wie Verhandlungserfolge der palästinensischen Delegation ausbleiben, die ja in den Gesprächen mit Israel in enger Absprache mit der PLO vorgeht.

Auch die Ende 1986 begonnene „Intifada“ hat viel zur Klärung der internen politischen Machtverhältnisse beigetragen. Sie war nicht nur eine Rebellion gegen die israelische Besatzung, sondern auch eine Revolte gegen die veralteten Verhältnisse unter den Palästinensern, meint der Direktor der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem, Yizhar Be'er. Die Palästinenser versuchten mit ihrem Aufstand, eine neue Infrastruktur wie in einem quasi unabhängigen Staat zu schaffen. Es habe ein Machtkampf zwischen der politisch erfolglosen alten Generation und der erfolgreichen jungen stattgefunden. Die israelische Besatzungsmacht habe darauf mit Massenverhaftungen der jeweiligen lokalen Führungen geantwortet. Der israelische Geheimdienst „Shin Bet“ habe die jeweilige Führung identifiziert, die dann von der israelischen Armee verhaftet wurde. Die Verhafteten wurden durch immer neue Führungsgruppen ersetzt. Die Konsequenz dieses Prozesses war, daß die neuen Führungen immer ungebildeter wurden. Rivalitäten und Machtkämpfe wurden zunehmend brutal ausgetragen. Es kam zu zahlreichen Morden innerhalb der palästinensischen Gemeinschaft. Die „Philosophie“ Israels gegen die Intifada war nach Be'er, „die Palästinenser beim Genick zu packen und ihnen zu zeigen, daß die Entscheidung für den Aufstand ein Fehler war. Die Intifada war der Versuch der Palästinenser, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen; er ist gescheitert. Heute gibt es keinen Aufstand mehr, sondern einen bewaffneten Kampf zwischen kleinen Gruppen.“ Der Journalist Bassam Schweiki aus Hebron sieht hingegen in der Intifada immer noch den erfolgreichen Versuch, Widerstand gegen die israelische Besatzung zu leisten. „Der Hungerstreik der Häftlinge vom Oktober 92 hat der Intifada wieder moralischen Rückhalt gegeben.“

Seit dem Beginn der israelisch- arabischen Nahostverhandlungen haben israelische Rechte und palästinensische radikale Islamisten versucht, diesen Prozeß zu Fall zu bringen. Doch je länger sich die Gespräche hinziehen, ohne daß die Palästinenser in den besetzten Gebieten irgendeine positive Veränderung spüren, desto geringer wird die palästinensische Unterstützung für Verhandlungen mit Israel. Enttäuschung und Frustration greifen um sich.

Der palästinensische Kaufmann Yousef Al-Sharabaty in Hebron, dessen Haus in der Altstadt die israelische Armee 1982 zerstört hat, meint, daß der Friedensprozeß zu nichts führen werde. „Solange man uns nicht unsere Rechte zurückgibt, wird sich nichts ändern.“ Er vergleicht die Lage der Palästinenser während der Nahostverhandlungen mit der eines Mannes, der Durst habe, zu einer Wasserstelle geführt werde, um ihn dann aber nicht trinken zu lassen. Seit 25 Jahren tragen die Menschen die Bürde der Besatzung, sagt er, und die Lebensverhältnisse haben sich kontinuierlich verschlechtert, insbesondere seit dem Ausbruch der Intifada und noch einmal mit dem Beginn des zweiten Golfkrieges, als die reichen Ölscheichs ihre Zahlungen an die Palästinenser einstellten. Denn diese hatten, in Verkennung der Machtverhältnisse, auf Saddam Hussein gesetzt.

„Wenn die Israelis Frieden wollen, müssen sie ihre Siedlungspolitik beenden, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen und die täglichen Diskriminierungen müssen aufhören“, so der Journalist Mazen Dana. Israel hat zwar seine Siedlungspolitik stark eingeschränkt, aber der Ausbau und die Expansion der bestehenden Siedlungen geht unverändert weiter. So erlebt die Siedlung Efrat, an der Straße nach Hebron gelegen, einen regelrechten Bauboom. Auch die Siedlungen, die sich wie ein Cordon sanitaire um Hebron legen, werden weiter ausgebaut. Nach wie vor wird Land „aus Sicherheitsgründen“ enteignet. Daß die Israelis diese Siedlungen eines Tages freiwillig räumen werden, ist nicht zu erwarten. Efraim Zuroff, Direktor des Simon-Wiesenthal- Zentrums in Jerusalem und Bewohner Efrats, ist nicht bereit, auch nur „einen Inch israelischen Landes zurückzugeben“. Auch für Yohanan Meroz kommt eine Aufgabe aller Siedlungen sowie ein totaler Rückzug vom Golan nicht in Frage. Diese Haltung ist auch den Palästinensern bekannt, und so gewinnen die Stimmen an Einfluß, die für eine radikalere Haltung gegenüber Israel plädieren.

Israelische und palästinensische Menschrechtsorganisationen hatten gehofft, daß sich die Lage der Palästinenser unter der Rabin-Regierung bessern würde; diese Hoffnung hat sich nach einhelliger Meinung der Sprecher aller Menschenrechtsorganisationen nicht erfüllt. Sie werfen der israelischen Regierung vor, die Rechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten weiterhin zu mißachten. So gibt es in Israel allein zehn Menschenrechtsorganisationen plus drei palästinensische, die einen aussichtslosen täglichen „Kleinkrieg“ gegen die Regierung und die Besatzungsbehörden führen.

Auch Journalisten sind vor Übergriffen von Soldaten nicht sicher. Bassam Schweiki beispielsweise wurde mißhandelt, als er am 16. Januar 1993 mit Palästinensern auf dem Gemüsemarkt von Hebron Interviews über das Verhalten israelischer Siedler machen wollte. Drei israelische Soldaten kamen und schlugen ihn ohne Vorwarnung mit einem Knüppel. Er habe hier keine Fragen zu stellen. Schweiki zeigte den Soldaten seinen Presseausweis der Nachrichtenagentur Reuter, der sie aber nicht beeindruckte. Ein Soldat zertrümmerte sein Tonbandgerät auf dem Boden und schrie: „Du bist bloß ein Aufwiegler und ein Miststück, es gibt keine palästinensischen Journalisten, ihr seid alle Terroristen.“ Einer der beiden anderen Soldaten schlug derweil weiter mit dem Knüppel auf Schweiki ein. Schweikis Drohung mit einer Anzeige quittierten sie mit Gelächter. Reuter reichte Beschwerde beim Sprecher der israelischen Armee ein. Bis heute erfolgte keinerlei Reaktion.

The Public Committee against Torture in Israel (P.C.A.T.I.) wirft dem Shin Bet vor, für den Tod von Mustafa Al-Akawi und Samir Omar direkt verantwortlich zu sein. Der 35jährige Al-Akawi aus Jerusalem wurde am 22. Januar 1992 wegen angeblicher Unterstützung der PFLP verhaftet und ins Gefängnis von Hebron gebracht – auch nach israelischen Bestimmungen illegal, denn er besitzt eine Identitätskarte von Jerusalem. Anschließend wurde er von Shin-Bet-Leuten verhört und mißhandelt. P.C.A.T.I. und andere Menschenrechtsorganisationen sowie der Dekan der Juristischen Fakultät der Hebrew University, Professor Kremnitzer, fordern seither eine unabhängige Untersuchung des Todes von Al-Akawi. Die israelische Polizei hat ihre Ermittlungen unterdessen eingestellt. Kremnitzer protestiert in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz vom 14. Februar 1992 dagegen und wiederholt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Al-Akawis treatment und seinem Tod. In diesem Fall müsse Anklage wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung erhoben werden. Kremnitzer weiter: „Angenommen, daß weder fahrlässige Tötung noch unterlassene Hilfeleistung im Spiel waren, so bleibt die Möglichkeit, daß der Mann geschlagen wurde.“ Die Regierung trage so oder so die Verantwortung für den „Vorfall“.

Meine israelischen und palästinensischen Gesprächspartner meinten, daß die Glaubwürdigkeit des israelischen Friedenswillens auch davon abhänge, ob die Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten aufhören. Nicht nur palästinensische, sondern auch die israelischen Menschenrechtsorganisationen konnten keine positive Veränderung der Politik der Rabin-Regierung in bezug auf die Behandlung der Menschen in den besetzten Gebieten erkennen. Die Nahostverhandlungen haben noch einen langen Weg vor sich; hoffentlich gelangen sie an ein Ziel, das Frieden heißt.

Der Autor ist Redakteur der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ und freier Journalist in Bonn.