„Die Roma kamen mit D-Mark“

Am 17. März fand in der rumänischen Kleinstadt Carpinis ein Pogrom gegen Roma statt/ Der Bürgermeister sieht keinen „interethnischen Konflikt“  ■ Von Keno Verseck

Vor dem verwüsteten Anwesen steht Barbara Merșan, die nur ein paar Schritte weiter wohnt, und schüttelt sorgenvoll den Kopf. „Wenn die Polizei nicht gekommen wäre, dann hätten sie weitergemacht und auch mein Haus zerstört.“ Die alte Romni kann es noch immer nicht fassen, daß die Roma-Siedlung am Rande der Stadt überfallen wurde, obwohl es schon zwei Wochen her ist. „Mit Heugabeln sind sie gekommen und Benzinflaschen...“ Als Barbara Merșan merkt, daß ich Deutscher bin, beginnt sie, im Dialekt der Banater Schwaben zu reden. „Die Rumäne' habe g'sagt, mir solle weggehe, weil mir hier nit zu Haus' san. Ab'r mir ware doch z'erst hier, z'samme mit die Deitsch'n. Ach, die Deitsch'n, was warn das gute Leit'. Jetz' san se alle fort, nur mir san hierbliebn.“

Hier, in Carpinis, einer 9.000-Einwohner-Stadt dreißig Kilometer westlich von Temeswar, überfielen Rumänen schon einmal, im Juni 1991, Häuser der Roma. Ein Angestellter der Polizei in Temeswar weiß davon nichts. Er sagt, der Vorfall vom 17. März sei bisher der einzige im Kreis Timis gewesen.

An diesem Abend versammelte sich eine Gruppe von 50 bis 60 jungen Rumänen im Ort und zog gegen 22.30 Uhr zur örtlichen Roma- Siedlung. Über das, was dann im einzelnen geschah, kursieren in Carpinis unterschiedliche Versionen. Doch die Spuren der Zerstörungswut, sie sind noch zu sehen.

Die Angreifer haben die Mauer eines Anwesens eingerissen, den Garten verwüstet, Scheiben und Tür des Hauses zertrümmert, die Inneneinrichtung, unter anderem einen Fernseher und ein Videogerät, zerschlagen und ein Auto vollständig demoliert. Bei fünf weiteren Häusern wurden ebenfalls Scheiben eingeschlagen und Einrichtungsgegenstände zerstört, die Dächer einiger Häuser sind beschädigt. Schwerer verletzt wurde niemand von den Roma, die meisten konnten sich in Sicherheit bringen. Gegen 1.00 Uhr trafen 30 Polizisten aus Temeswar ein und nahmen 14 Rumänen fest. Anschließend veranstalteten sie im Roma-Viertel eine Razzia, bei der sie zwei Roma verhafteten. Sämtliche Rumänen wurden einige Stunden später freigelassen. Die beiden Roma, Zamir Merșan und sein Schwager Romulus Merșan, befinden sich bis auf weiteres im Temeswarer Polizei-Gefängnis.

Der Chef vom Dienst auf der Polizeiwache in Carpinis sagt, die Rumänen hätten eben jenen Zamir Merșan finden und ihn bestrafen wollen, weil er ständig kriminelle Taten begangen habe. Erst am Tag vor dem Überfall habe Zamir Merșan zusammen mit seinem Schwager einen Rumänen verprügelt.

Kurz vor dem Überfall hätten Zigeuner beim Haus eines Rumänen die Scheiben eingeschlagen. Warum, wisse er nicht. Da Zamir Merșan nicht zu Hause gewesen sei, hätten sie angefangen, sein Haus und sein Auto zu zerstören, und später die Scheiben eines anderen Hauses eingeworfen. Daß sie mit Molotowcocktails bewaffnet gewesen seien und versucht hätten, Häuser in Brand zu stecken, stimme nicht. „Die Rumänen“, sagt der Polizist, „waren es müde, ständig Probleme mit den Zigeunern zu haben. Weil sie nicht arbeiten, müssen sie natürlich stehlen. Auch die Rumänen stehlen, wegen der Arbeitslosigkeit. Das ist das Problem der Demokratie.“

Der Bürgermeister von Carpinis, Stelian Milota, erklärt seine verblüffende Theorie der Ereignisse, noch bevor ich sagen kann, weshalb ich hergekommen bin. „Das war kein interethnischer Konflikt. Dieser Konflikt hat seine Ursache in den Ereignissen seit 1990: Skandale, Gewalt, Diebstahl, Prügeleien. Konflikte gab es nicht nur mit den Zigeunern, denn es gibt hier auch Kroaten, Serben, Ungarn, Bulgaren und noch einige Deutsche. Aber auch mit den Zigeunern, besonders mit vier, fünf von ihnen. Sie konnten seit 1989 nach Deutschland fahren. Sie kamen zurück, mit D-Mark. Sie haben ihren Lebensstil verändert. Und die Leute von Carpinis begannen wütend zu werden, weil die Zigeuner immer wieder straffällig wurden.“

Zamir Merșan, so der Bürgermeister, sei seit Jahren durch asoziales Verhalten aufgefallen. Er habe einmal einen Raub begangen und sei dafür einige Monate ins Gefängnis gekommen. Später habe ihn die Polizei beim Autofahren ohne Führerschein erwischt, wofür er wieder eine Strafe habe absitzen sollen. Dann sei er nach Deutschland geflüchtet und erst Anfang März wieder in Carpinis aufgetaucht. „Weil er damals geflüchtet ist, sitzt er jetzt im Gefängnis, und nicht wegen des Überfalles. Auch andere aus seiner Familie waren in Deutschland. Die leben jetzt gut. Sie haben sich auf allen Ebenen asozial verhalten. Mit den anderen Zigeunern ist alles in Ordnung, sie arbeiten mit Rumänen zusammen in der Landwirtschaft.“

Was die D-Mark und der Deutschland-Aufenthalt der Roma mit ihrer angeblichen Kriminalität zu tun haben, warum es nicht rassistisch ist, daß zwar Roma-Häuser, nicht aber die der Ungarn, Kroaten oder Deutschen überfallen werden, warum Zamir Merșan nicht sofort verhaftet wurde, als er nach Carpinis zurückkam, sondern erst mehr als zwei Wochen später – auf all diese Fragen antwortet der Bürgermeister mit einem Schulterzucken. Nur daß die Polizei von Carpinis die Angreifer zunächst laufenließ, kann er erklären. „Wir kennen diese jungen Leute alle. Wir wären am nächsten Tag zu ihnen nach Hause gegangen und hätten die Personalien aufgenommen.“

Fünf der jungen Männer sitzen in der „Café-Bar“ an der Hauptstraße in Carpinis. Ja, natürlich, sagen sie, halb stolz, halb, als wäre es selbstverständlich, wir waren dabei. Die meisten von ihnen sind arbeitslos. Die örtliche Kooperative wurde 1991 aufgelöst. Aber das Land ist noch nicht vollständig verteilt. Die Comtim-Fleischfabrik, die größte Rumäniens, in der früher 15.000 Menschen arbeiteten, hat die Hälfte der Arbeiter und Arbeiterinnen entlassen. Aussichten, irgendeine Stelle zu finden, hat sobald niemand. Das sagen die jungen Männer. Und sie sagen, daß die Zigeuner nicht arbeiten wollen, sondern „bisnita“ machen – business. „Sie klauen, gehen nach Deutschland und kaufen dort Autos und Waffen. Die meisten Zigeuner sind so. Wir haben ihre Häuser zerstört, aber gelöst sind die Probleme damit noch nicht.“ Einer sagt: „Noch nicht!“ Ein Ungar, der am Nebentisch sitzt, zerrt mich beiseite. „He, weißt du, diese Zigeuner sind alle Kriminelle. Zwanzig Kilo Gold haben sie und eine Kanone.“

Die jungen Männer haben den Namen Zamir Merșan noch nie gehört. Ach doch, sagt einer, er kenne ihn, aber es sei ja nicht nur um Merșan gegangen. Die Zigeuner seien alle so wie Merșan. Er beginnt zu prahlen. „Da haben wir ganz schön was angerichtet, nicht wahr! Das Auto zerschlagen...“ Ein anderer redet dazwischen. „He, was erzählst du da? Paß lieber auf, was du sagst!“ Hatten sie Molotowcocktails dabei? Schweigen, dann entrüstetes Kopfschütteln. Ein älterer Mann, der dem Gespräch zugehört hat, mischt sich ein. „Warum erzählt ihr nicht die Geschichte mit der Zigeunerin, die ihr vergewaltigen wolltet, na?“ Die jungen Männer werden unruhig. „Quatsch nicht so einen Blödsinn, halt's Maul!“ Sie stehen auf und bezahlen.

Jeder geht seiner Wege, ohne sich von dem anderen zu verabschieden. Einzeln laufen sie die triste Haupstraße entlang. Carpinis ist ein trauriges Städtchen, nicht nur wenn es regnet, wie an diesem Tag. Schlaglöcher haben sich in die asphaltierte Hauptstraße gefressen, die Sandwege, die von der Hauptstraße abgehen, sind unbefahrbar. In den Fenstern hängen Decken, damit der Wind nicht durch die Ritzen pfeift. Das Kulturhaus ist eine Baustelle, auf der niemand arbeitet. Den überall herumliegenden Müll und Schrott wegzuräumen muß den Leuten von Carpinis wohl hoffnungslos vorkommen. Die Café-Bars sind verraucht und schon morgens voller Betrunkener. An den Wänden hängt Marlboro-Reklame, und in den Regalen stehen leere Coca- Cola-Dosen.

„Warum machen sie uns alle zusammen verantwortlich“, fragt eine Romni wütend. „Was weiß ich von der Prügelei zwischen einem von uns und irgendwelchen Rumänen?“ Im Haus ihrer Familie haben die Angreifer die Scheiben eingeschlagen und anschließend drinnen randaliert. Jetzt hängt im Fenster statt einer Scheibe ein Gitter. Ein Rom und seine Frau erzählen, daß ein paar Rumänen versucht hätten, eine Verwandte von Zamir Merșan zu vergewaltigen. Daraufhin habe Zamir einen der Beteiligten verprügelt. Am nächsten Abend seien die Rumänen zu ihren Häusern gekommen, mehrmals hintereinander. Sie selbst seien geflüchtet, hätten von weitem beobachtet, wie ihr Haus verwüstet wurde, und nicht gewagt, etwas dagegen zu unternehmen.

Laut dem Bürgermeister sollen die Roma wegen der Schäden an ihren Häusern Geld und Baumaterialien bekommen, die Stadtverwaltung habe sich außerdem bei den Betroffenen entschuldigt. Die Roma sagen, weder habe sich jemand bei ihnen entschuldigt noch ihnen eine Entschädigung versprochen.

Nur der Bruder des inhaftierten Merșan, Ion, ein älterer Mann, berichtet, ein Angestellter der Bürgermeisterei habe ihm aufgetragen, das Grundstück und Haus seines Bruders aufzuräumen. „Es stimmt nicht, daß sie das Haus nicht anzünden wollten. Sie haben Benzinflaschen geworfen. Am nächsten Tag wurde mir befohlen, alles sauberzumachen.“

Der stellvertretende Chef der Kreispolizei in Temeswar, Ioan Popovici, der in jener Nacht den Polizeieinsatz in Carpinis leitete, teilt mit, daß die 14 Rumänen, die kurzzeitig verhaftet wurden, demnächst wegen Störung der öffentlichen Ruhe, Beschädigung von Privateigentum und Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt werden würden. Die Polizei habe ein Dossier zusammengestellt, irgendwann fahre ein Beamter nach Carpinis, um die vierzehn Rumänen zu vernehmen. Sie in Untersuchungshaft zu halten sei nicht notwendig.

Zamir Merșan und sein Schwager sitzen laut Popovici deshalb im Gefängnis, weil sie nach ihrer Verurteilung wegen Schwarzfahrens und Fälschens von Autonummernschildern geflüchtet seien. Nur habe die Polizei in Temeswar erst in der Nacht erfahren, daß sie wieder in Carpinis seien. Um sie zu finden, habe man die Razzia veranstaltet.

Warum die Rumänen die Roma-Siedlung in Carpinis überfielen, weiß Popovici nicht genau. „Es gab einige ältere Konflikte. Die Zigeuner kamen in die Kneipen, benahmen sich schlecht gegenüber rumänischen Mädchen, klauten anderen Gästen die Getränke und so weiter. Es war wohl eine kollektive Rache der Rumänen an den Zigeunern.“

Popovici kann nicht sagen, ob es stimmt, was er erzählt. Besonders zu interessieren scheint es ihn auch nicht. Er hat hier und dort Gerüchte gehört, über Zamir Merșan, über seinen Aufenthalt in Deutschland, über Merșans Familie, über die Zigeuner im allgemeinen. „Zamir Merșan“, sagt Popovici, „ist ein bißchen arrogant gegenüber den Rumänen. Und empfindlich. Er war in Deutschland. Wahrscheinlich hat er dort zu viele Skinheads gesehen.“