Rot-grüne Bergwanderung

Halbzeit in Hessen/ Das SPD-Debakel der Kommunalwahlen vermiest das Koalitionsklima  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Vergleicht man eine Legislaturperiode mit einer Bergwanderung, ist nach zwei Jahren der Gipfel erreicht – danach geht es abwärts. Die rot- grüne Koalitionsregierung in Hessen, die heute Gipfelfest feiert, hat in den zurückliegenden 24 Monaten kontinuierlich am Aufstieg gearbeitet. Doch kurz vor dem Gipfel stolperte die eingespielte sozial- ökologische Seilschaft über die Felsbrocken, die ihr die BürgerInnen des Landes bei den Kommunalwahlen vor die Füße geworfen haben: Panik bei der SPD, die das schlechteste Kommunalwahlergebnis seit Gründung des Bundeslandes hinnehmen mußte. Und gewachsenes Selbstbewußtsein beim grünen Juniorpartner. Überall in Hessen legten die Grünen zu, während die SPD ordentlich gerupft wurde.

Bei einigen der arg gebeutelten Sozialdemokraten in der Provinz wird der „Schmusekurs“, den die SPD auf Landesebene im Umgang mit dem grünen Koalitionspartner gepflegt habe, für die erdrutschartigen Verluste mitverantwortlich gemacht: Profiliert hätten sich in dieser „Erfolgskoalition“ (Eichel) nur die Grünen.

Bei SPD-Landesgeschäftsführer Norbert Schmitt scheinen die Unmutsäußerungen bereits angekommen zu sein. Schmitt goß kurz vor der Halbzeitfeier Wasser in den Festwein: „Die Vergilbung der Grünen schreitet voran.“ Mit schwarz-grünen Bündnissen in diversen Kommunen des Landes, so Schmitt, würden die Grünen ihre WählerInnen betrügen, die auf den Slogan: „Wer Rot-Grün will, muß Grün wählen!“ hereingefallen seien. Auch inhaltlich näherten sich die Grünen immer mehr den Gelben an, meinte Schmitt, der dem Koalitionspartner vorwarf, mit Blick auf andere Mehrheiten die „Privatisierungsdebatte“ voranzutreiben. „Anstatt sich umgehend nach der verlorenen Wahl in eine Phase der Selbstreflexion zu begeben“, konterte der grüne Landesvorstandssprecher Jürgen Frömmlich, „ergeht sich der für die Geschäfte der SPD zuständige Norbert Schmitt in der Ergründung der Spektralfarben.“

Die oppositionelle hessische CDU reibt sich die Hände: Zusammen mit der FDP beantragte Unions-Fraktionschef Manfred Kanther am vergangenen Dienstag eine Plenardebatte mit dem Titel: „Umfassende Kurskorrektur in der Landespolitik“. Der Unionist warf dabei vor allem dem Ministerpräsidenten vor, das Hessenland mit einer „Einschläferungsstrategie“ paralysiert zu haben: „Zwei Jahre nach dem Regierungswechsel steht die Neinsager-Koalition mit leeren Händen da. Diese Koalition hat offenbar nur noch ein Ziel – vier Jahre lang an der Macht zu bleiben.“ Kanthers Empfehlung: Die SPD solle über „sachliche und personelle Konsequenzen“ nachdenken.

Noch steht die SPD zu Eichel. Doch mit der leidigen Dienstvilla- Affaire des Ministerpräsidenten hat Eichels blütenweiße Weste auch nach Auffassung einiger Sozialdemokraten häßliche Flecken bekommen. Daß es eine „Eselei sondergleichen“ gewesen sei, die Vergabe der Architekturarbeiten für die Dienstvilla an den Ausschreibungskriterien vorbei zu tätigen, wird im Landtag auch von Koalitionären nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Bei den Grünen wird mit ratlosem Kopfschütteln reagiert. Das Ganze sei ein „Problem der SPD“ war der Tenor der Stellungnahmen in der vergangenen Woche. Und deshalb: „No comment.“

Dafür, daß die bislang unter den Harmonie-Teppich gekehrten Konflikte innerhalb der Koalition nach den Kommunalwahlen wieder ins Rampenlicht zurückgeholt werden, spricht die Pressemitteilung des grünen Landtagsabgeordneten Karl Kerschgens vom vergangenen Dienstag. Der streitbereite Südhesse warf darin der Landesregierung vor, in ihrer Halbzeitbilanz die Koalitionsvereinbarungen gebrochen zu haben. Weil in dieser Bilanz im Rechenschaftsbericht von Wirtschafts- und Verkehrsminister Welteke (SPD) der vierspurige kreuzungsfreie Ausbau der umstrittenen Bundesstraße 7 favorisiert wird, konstatiert Kerschgens – zunächst noch ohne Rückendeckung durch die Fraktion – eine „einseitige Veränderung der Koalitionsvereinbarungen“. In diesen Vereinbarungen sei die B7 als „landschaftsschonende, aber leistungsfähige Verkehrsverbindung“ mit maximal dreispurigen Ortsumgehungen ausgewiesen. Einseitige Aufkündigungen, so die Drohung von Kerschgens, zerstörten die rot- grüne Zusammenarbeit. Schließlich müsse über eine Änderung des Koalitionsvertrages die Landesmitgliederversammlung der Grünen entscheiden.

Die Koalitionsluft wird dünner – und in der Verkehrspolitik weht plötzlich ein rauher Wind. Weil Ministerpräsident Hans Eichel inzwischen mit Bundesverkehrsminister Krause über den Bau der Autobahn zwischen Kassel und Eisenach plauschte und in der Landtagsdebatte am Donnerstag gar ein „Verhandlungsergebnis“ präsentierte, springt die komplette Fraktion der Grünen seit dem Wochenende im Quadrat: Der Autobahnbau widerspreche den Koalitionsvereinbarungen, konstatierte die Fraktion diesmal einstimmig. Die nordhessischen SPD-Genossen führen dagegen ihr Kommunalwahldebakel nicht zuletzt auf die „Straßenbauverhinderungspolitik“ der rot-grünen Landesregierung zurück. Und weil CDU-Chef Manfred Kanther die Achillesferse der Koalition kennt, goß er ordentlich Öl ins Feuer. Die Landesregierung müsse endlich ihre „Blockadehaltung“ beenden und dem Bau der A44 von Kassel nach Eisenach zustimmen, sagte Kanther.

Während der SPD-Fraktionsvorsitzende Lothar Klemm und der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rupert von Plottnitz, übereinstimmend von einem Rückfall Kanthers in die „verkehrspolitische Steinzeit“ sprachen, gab es in der Landtagslobby auch andere Stimmen bei den Sozis: Die Generalbrechung der BürgerInnen mit der SPD bei den Kommunalwahlen sei auch eine „Quittung für die verkehrspolitische Gängelei“ gewesen – „und für die Isolation des Wirtschaftsraumes Kassel vom Wirtschaftsraum Eisenach durch die Verweigerung des Autobahnbaus“.

Die rot-grüne Hessenkoalition kann berechtigterweise auf Erfolge verweisen: in der Wohnungsbaupolitik, bei der Umweltsanierung, bei der Neueinstellung von LehrerInnen oder im Kampf gegen die Atom- und Plutoniumwirtschaft. Doch die nächsten Monate werden zeigen müssen, ob die rot- grüne Seilschaft auch bei schlechtem Wetter den Weg zum nächsten Gipfel findet – oder ob es den Rest der Legislaturperiode auf glitschigen Straßen tatsächlich abwärts bis in die Täler geht.