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■ Press-SchlagWest goes East

Als Trainer fand Siegfried Fülle einst in Leipzig ideale Voraussetzungen vor, um den Medaillenplan zu erfüllen. Alles war auf den sportlichen Erfolg seiner Turner ausgerichtet. Doch die Zeiten haben sich geändert: Was damals dem Sport untergeordnet war (Schule, Berufsausbildung), ist heute die Hauptsache. Siegfried Fülle, 53, Landestrainer beim Bayerischen Turnverband (BTV), hat jetzt ungewohnt viel Muße, denn seine Arbeitszeit im Münchner Turnzentrum beginnt in der Regel erst um drei oder gar um fünf Uhr nachmittags. Mangels Perspektive hat er Leipzig damals verlassen, sagt er, „das war frühzeitig klar, daß es dort den Bach runtergeht“.

1964 und 1968 gewann Siegfried Fülle Olympia- Bronze. Auch als Coach hatte der Absolvent der renommierten DHfK in Leipzig Erfolge. Bei den Olympischen Spielen in München holte der von ihm trainierte Leipziger Klaus Köste sensationell Gold am Sprung.

Heute arbeitet Fülle im hochmodernen Turnzentrum München, das vom BTV 1982 für acht Millionen DM errichtet wurde. Doch Spitzenturner sind in München kaum vorhanden. Mangels Bundeskader verlor die Stadt ab Januar ihren Stützpunktstatus und damit wichtige Bundesmittel. Der in München amtierende Bundestrainer Reginald Nestler muß um seinen Arbeitsplatz fürchten. Auch Stuttgart hat die vom Bundesinnenministerium geforderte Norm von fünf Kader- Turnern mit lediglich zweien nicht erfüllt und ist nicht mehr Bundesstützpunkt. Der Stuttgarter Bundestrainer Franz Heinlein wird als Cheftrainer der Männer von der Versetzungsdrohung verschont bleiben. Für „Alt“- Bundestrainer wie Philipp Fürst (Oppau) und Wolfgang Dreyer (Frankfurt/Main) hat der DTB mit Potsdam und Cottbus dagegen bereits neue Arbeitsorte fixiert. Beide sperren sich dagegen und verweisen auf die in ihren Arbeitsverträgen vereinbarten Dienstorte.

Doch in den neuen Bundesländern ist nach wie vor die Basis deutscher Turnerfolge angesiedelt. Von 50 Kaderturnern trainieren 37 in Ostdeutschland; die Nationalriege wird gleichfalls dort rekrutiert. Auch in der Nachwuchsarbeit profitiert man von der systematischen Talentförderung des DDR- Sports.Für Kunstturnchef Eberhard Gienger ist dies keine Überraschung, sondern Programm: „Wir haben bereits 1990 im Gegensatz zu anderen Sportarten die Abwanderung der Turner von Ost nach West unterbunden, indem wir elf Bundestrainer in den Ostzentren installiert haben.“ Nur so sei der hohe Standard des DDR-Turnens halbwegs zu halten gewesen.

Wen wundert es da noch, wenn für Siegfried Fülle feststeht, daß seine Sportart langfristig nicht überleben wird und Spitzensport in diesem Lande früher oder später „nur noch in fünf, sechs Profisportarten auf hohem Niveau existieren wird“? Karl-Wilhelm Götte

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